Gelsenkirchen. Willi Landgraf steht nicht auf Schickimicki. Eine alte Bierzeltbank reicht dem Rekordspieler der 2. Bundesliga zum Interview über seine Arbeit als Jugendtrainer auf Schalke völlig aus. In der nächsten Saison ist der 47-Jährige für die U14 zuständig. Ein Gespräch über Besuche im Museum, Dieter Hecking, die Steuerfahndung und die Schulzeugnisse seiner Spieler.
Mit 508 Zweitligaspielen sind Sie noch immer Rekordspieler der 2. Bundesliga. Hand aufs Herz: Ärgern es Sie nicht manchmal doch, nicht ein einziges Mal in der 1. Bundesliga gespielt zu haben?
Willi Landgraf: Dass ich nie ein Erstligaspiel gemacht habe, ärgert mich überhaupt nicht. Ich habe viel mehr erlebt, als die meisten Bundesligaspieler je erlebt haben. Ich stand mit Alemannia Aachen im DFB-Pokal-Finale und habe sechs Europapokal-Spiele gemacht. Mehr kann man als Zweitligaspieler kaum erreichen. Der Rekord in der 2. Bundesliga wird mir für ewig sicher sein. Außerdem hängt ein Bild von mir im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund. Darunter stehen meine Fußballschuhe. Ein super Gefühl, wenn du ins Museum kommst und da ein großes Foto von dir sehen kannst.
Hinzu kommen neun Platzverweise in der 2. Liga. Auch das ist Rekord.
Willi Landgraf: Die meisten Platzverweise waren berechtigt, einige aber auch nicht. Es kam vor, dass ich einen Gegenspieler auch mal etwas unsanft von den Beinen geholt habe. Außerdem konnte ich manchmal meine Klappe nicht halten. Meine Spieler aus der U15 haben mich auch schon auf die Roten Karten angesprochen. Ich bin viel ruhiger geworden. Nur wenn ich in der Traditionsmannschaft spiele, kann es vorkommen, dass ich nochmal zulange.
In Aachen haben die Fans Ihnen den Spitznamen „Willi, das Kampfschein“ verpasst. Sie wissen aber schon, dass der Name auf Schalke besetzt ist...
Willi Landgraf: Das weiß ich. Auf Schalke ist Marc Wilmots „Willi, das Kampfschwein.“ Das soll auch so bleiben. Das hat er sich verdient. Genauso wie ich mir diesen Namen damals in Aachen verdient habe.
Auf Schalke haben Sie dann für die U23 gespielt, obwohl Sie Ihre Karriere eigentlich beenden wollten.
Willi Landgraf: Ich hatte Glück, dass mich Helmut Schulte, der damalige Leiter der Nachwuchsabteilung, anrief. Die U23 spielte damals noch in der Oberliga und ich sollte helfen, den Aufstieg in die Regionalliga zu schaffen. Im zweiten Jahr war es so weit. Wir sind mit einer Mannschaft aufgestiegen, in der viele junge Spieler Spielpraxis gesammelt haben, die jetzt schon lange in der Bundesliga spielen. Alexander Baumjohann, Benedikt Höwedes und Tim Hoogland haben Einsatzzeiten bekommen, auch Manuel Neuer stand mal im Tor. Und ich war mittendrin. Das war schon eine außergewöhnliche Truppe.
Wie beurteilen Sie eigentlich das heutige Outfit von jungen Spielern auf dem Platz? Ich würde wetten, dass Sie ausschließlich schwarze Fußballschuhe getragen haben.
Willi Landgraf: Da muss ich widersprechen. Ich habe alle Farben angezogen: Silber, grau, blau, auch die rot-schwarzen Schuhe. Ich war immer der erste Spieler, der die neuen Schuhe vom Hersteller bekommen hat. Das lag daran, dass die neuen Modelle immer erst in kleinen Größen hergestellt wurden und nur mir gepasst haben. Wenn ich ein Tor mit neuen Schuhen geschossenen habe, habe ich sie häufiger angezogen. Da ich aber kaum Tore geschossen habe, konnte ich die Schuhe oft wechseln. Welche Schuhe meine Spieler tragen, ist mir völlig egal. Mit einer Ausnahme: gelbe Schuhe trägt bei mir keiner.
Sie haben in Ihrer Laufbahn schon viele Trainer erlebt – wer hat Sie eigentlich am meisten geprägt?
Willi Landgraf: Von seinem Fußball-Fachwissen und von seiner Art, mit Spielern umzugehen, hat mich Dieter Hecking am meisten geprägt. Zu meiner Zeit in Aachen habe ich unter ihm trainiert. Dieter geht immer ehrlich mit seinen Spielern um. Das ist für mich das Wichtigste, auch im Jugendbereich.
Apropos Jugendbereich. Erfüllt Sie die Aufgabe auf Schalke, oder können Sie sich auch vorstellen, eine Seniorenmannschaft zu trainieren?
Willi Landgraf: Ich hatte schon Angebote aus der 3. Liga, auch als Cheftrainer. Aber ich weiß gar nicht, ob ich mir das antun will. Die Aufgabe, die ich zurzeit auf Schalke habe, ist eine sehr anspruchsvolle, die mir zudem sehr viel Spaß macht. Die Arbeit mit Jugendlichen kann viel interessanter sein, als das schnelllebige Profi-Geschäft, denn im Nachwuchsbereich kann man nachhaltiger arbeiten. Es ist doch wunderbar, den Weg der Jungs zu verfolgen und sie auf kommende Aufgaben vorzubereiten. Maurice Multhaup zum Beispiel war mein Spieler, als ich auf Schalke als C-Jugend-Trainer begonnen habe. Letztes Jahr ist er mit Schalke Deutscher A-Jugend-Meister geworden, jetzt ist er Profi beim FC Ingolstadt.
Sie haben als Profi für Alemannia Aachen, Rot-Weiss Essen, den FC Homburg und FC Gütersloh gespielt. Vereine, die schon viel bessere Zeiten erlebt haben. Sicher nur Zufall.
Willi Landgraf: Das ist wirklich auffällig (lacht). Meine Mitspieler haben darüber schon Witze gemacht. Willi, egal, wo du bist: jedes Mal schwebt der große Adler über uns, haben sie gesagt. Ich habe Insolvenzen erlebt, Lizenzentzüge, die Steuerfahndung auf der Geschäftsstelle gesehen. Drei Monate musste ich mal auf Gehalt verzichten. Ich habe schon gedacht: Irgendwann kann ich meine Fußballschuhe nicht mehr anziehen, weil da der Kuckuck draufklebt. Aber diese schweren Zeiten haben mich auch weitergebracht. Ich kann heute mit einigen Situationen sicher viel besser umgehen als andere Kollegen, denen es meistens gut ging.
Auf die Frage, ob Sie schon mal Step-Aerobic gemacht haben, haben Sie vor Jahren geantwortet: „Jung’, ich komm aus Bottrop, da wirste getötet, wenn du das in der Muckibude machst.“ Was halten Sie heute von Step-Aerobic?
Willi Landgraf: Unser Trainer war damals Eugen Hach, er wollte was ausprobieren und ist mit uns zum Step-Aerobic gegangen. Ich habe Tränen gelacht, die Nummer wäre heute bei YouTube die Nummer eins. Als Trainer einer Jugendmannschaft achte ich natürlich auf ausgewogenes Athletiktraining. Im Alter von 14 bis 16 Jahren haben die Jungs einen enormen Wachstumsschub. Es ist wichtig, Verletzungen vorzubeugen. Aber nicht mit Step-Aerobic.
Wie läuft die Sichtung von jungen Spielern für Ihre Mannschaft?
Willi Landgraf: Wir beratschlagen uns mit den Scouts, auf welchen Positionen wir Bedarf sehen. Einen Spieler zu scouten, ist das eine. Einen Spieler vom Wechsel zu überzeugen, das andere. Wir befinden uns in einem Ballungsgebiet und konkurrieren mit vielen anderen namhaften Vereinen.
Und wie werben Sie für Schalke?
Willi Landgraf: Die Spieler sind erst 14 Jahre alt, die Entscheidung treffen vor allem die Eltern. Ich bin in Gesprächen der emotionale Typ. Ich möchte die Eltern davon überzeugen, dass ich zu 100 Prozent hinter ihrem Sohn stehe. Ein Trumpf ist natürlich, dass so viele Spieler aus der Knappenschmiede den Sprung in den Profifußball geschafft haben.
Wird in der U15 schon Geld gezahlt?
Willi Landgraf: Ich spreche nicht über Geld und bitte um Verständnis dafür.
Kann man in der U15 schon beurteilen, ob ein Spieler Profi wird?
Willi Landgraf: Man kann schon sehen, ob ein Spieler besondere Anlagen hat. Schnelligkeit ist ein ganz großes Plus. Aber da kommen noch so viele Faktoren dazu. Ich bin tagtäglich mit den Jungs zusammen und darf den Blick nicht nur auf den Ball lenken. Die Spieler befinden sich mitten in der Pubertät. Da bin ich nicht nur als Trainer, sondern manchmal auch als Psychologe gefragt. Ich muss auch mal nachfragen, wenn es ihnen nicht gut geht.
Wie schwierig ist es für die jungen Spieler eigentlich, die Schule mit dem Fußball unter einen Hut zu bringen?
Willi Landgraf: Wie trainieren vier Mal pro Woche, mittwochs ist der freie Tag, an den Wochenenden finden dann die Spiele statt. Die Schule ist das A und 0. Ich lasse mir alle Zeugnisse zeigen. Wenn einer meiner Spieler unentschuldigte Fehlstunden hat, dann muss er eben mal mit dem Training aussetzen. Auf Fehlstunden stehe ich gar nicht.