Berlin.Kennen Sie Wildberries? So heißt ein russischer Onlineversandhändler, der jetzt auch mit einer deutschsprachigen Website auf dem Markt ist. Das Sortiment umfasst Tausende Artikel von Hunderten Marken, darunter gänzlich unrussische wie Levi‘s, Puma und Reebok.
Tatjana Bakaltschuk war 29, als sie 2004 damit begann, in Russland Waren aus Otto- oder Quelle-Katalogen zu verkaufen. Heute wird das Vermögen von Wildberries und seiner Inhaberin vom US-Magazin „Forbes“ auf 13 Milliarden US-Dollar geschätzt. Damit ist Bakaltschuk die reichste Frau Russlands sowie die erste Selfmade-Milliardärin des Landes. Ihr Beispiel zeigt, dass im größten Flächenland der Erde wirtschaftlich durchaus etwas jenseits der Oligarchen aus dem Rohstoffsektor geht.
Eine weitere Erfolgsstory schreibt der Landwirt Stefan Dürr (57) aus Ebersbach am Neckar, der einst mit dem Osthandel gebrauchter Landmaschinen startete und heute mit 630.000 Hektar Ackerland, 110.000 Milchkühen und 12.900 Mitarbeitern zu den größten Agrarunternehmern in Russland gehört.
Doch wenn in diesen Tagen höchster politischer Anspannung die Rede von russischer Wirtschaft ist, dann gibt es nur ein Thema: Nord Stream 2. Ganz klar, die Gaspipeline ist ein Milliardenprojekt und politisch ganz anders im Fokus als der Handel mit Jeans und Sportschuhen oder die Produktion von Milch und Quark.
Aber bei allen politischen Forderungen („Abschalten“) wird seltsamerweise der größte Hebel nie diskutiert. Ein generelles Importembargo gegen russisches Gas, beschlossen auf EU-Ebene, würde viel mehr Durchschlagskraft besitzen als das Verbot einer einzelnen Röhre. Noch schmerzlicher wäre ein Embargo gegen russisches Rohöl, dessen Wert bis zu fünfmal höher liegt als der von Gas. Zudem importiert Europa mit 32 Prozent mehr Rohöl aus Russland als Gas (26 Prozent).
Doch da traut sich – aus gutem Grund – niemand ran. So wird Nord Stream 2 zu einer Never-ending-Story, die manchen nur noch langweilt und hinter der alles andere verblasst. Schade eigentlich.
Jan Emendörfer ist RND-Chefkorrespondent für Osteuropa und Russland. Immer mittwochs gibt er Einblick in das Wirtschaftsleben zwischen Warschau und Wladiwostok - im wöchentlichen Wechsel mit seinen Kolleginnen und Kollegen aus Washington, Peking und London.