Die Handball-Europameisterschaft in Ungarn und der Slowakei wird von unzähligen positiven Fällen überschattet. Über 100 Spieler haben sich mit dem Coronavirus infiziert. Daran hat auch der europäische Handballverband seinen Anteil. Ein Zwischenfazit.
Frederic HärriDruckenTeilenDie Handball-Europameisterschaft in Ungarn und der Slowakei ist in vollem Gange. Derzeit streiten sich die verbliebenen Teams um die Halbfinalplätze, der Turniersieger wird am kommenden Sonntag in Budapest ermittelt. Zeit für erste Erkenntnisse, die nur bedingt sportlicher Natur sind.
Jeder, der mit der Handball-EM zu tun hat, dürfte sich im Vorfeld diese Frage gestellt haben: Kann das gut gehen? Nun, eine Woche vor Turnierende, darf die Antwort vorzeitig gegeben werden: Nein, es ist nicht gut gegangen.
Diese EM wird trotz all der schönen Tore und wilden Spielverläufe vor allem wegen des Coronavirus im kollektiven Gedächtnis fortwähren. Und daran hat auch die Europäische Handballföderation (EHF) entscheidenden Anteil. Dem Organisator müsste es eigentlich ein Ansinnen sein, dass das gebotene Spektakel ohne Zwischentöne über die TV-Bildschirme flimmert. Diese Veranstaltungen zu Jahresbeginn sind schliesslich immer auch als Werbung für den Handballsport angedacht, wie turnusmässig verlautbart wird. Stattdessen lässt es die EHF zu, dass die überschwappende Omikron-Welle die Diskussion dominiert. Über 100 Spieler der 24 teilnehmenden Teams haben sich inzwischen mit dem Coronavirus angesteckt.
Gewiss: Die Infektionswege der neuen Virusvariante sind unberechenbar. Gleichwohl sind die Probleme hausgemacht. Der Verband hat darauf verzichtet, eine Turnier-Bubble zu errichten, so wie das der Weltverband IHF vor einem Jahr an der WM in Ägypten praktizierte. Ein einheitliches Konzept an dieser EM wird vermisst, nur schon, was die Zustände in den Spielstätten betrifft. Während in der Slowakei eine Zuschauerbeschränkung von 25 Prozent gilt, sind die Hallen im Nachbarland Ungarn voll ausgelastet. Letzteres ist zwar auf die Weisungen der Regierung von Viktor Orban zurückzuführen, doch hat es die EHF verpasst, dem mit schärferen Eindämmungsmassnahmen entgegenzusteuern.
Getestet werden die Mannschaften nun täglich, jedoch scheint selbst das nicht richtig zu funktionieren. Serbiens Trainer Antoni Gerona etwa schrieb auf Twitter von einer «chaotischen Organisation» und berichtete von langen Wartezeiten. Zudem treffen die Nationalspieler in den Hotels wiederholt auf Hotelgäste, die von einer Maskentragpflicht scheinbar nichts wissen wollen.
EHF-Generalsekretär Martin Hausleitner sagte der «Deutschen Presseagentur», er könne angesichts der dynamischen Entwicklung keine Garantie geben, dass das Turnier regulär zu Ende gespielt werden kann. Ein Abbruch scheint trotzdem ausgeschlossen, denn er würde den Verband viel Geld kosten. Allein deswegen wird man bis zuletzt an der Fortführung festhalten.
Viele Nationen hatten in den letzten Tagen zahlreiche positive Fälle zu beklagen. Polen ist da zu nennen, Serbien und Nordmazedonien, oder zuletzt auch Island. Doch keinen der Teilnehmer erwischte es so schlimm wie Deutschland.
Gleich 13 deutsche Spieler sind bis Sonntag durch positive Testungen ausgefallen. Nationaltrainer Alfred Gislason musste im Grunde eine komplett neue Mannschaft nachnominieren. Er reaktivierte den 39-jährigen Torhüter Johannes Bitter, der unlängst seinen Rücktritt aus dem DHB-Team gegeben hatte.
Die skurrilste Volte dieser EM trug sich schliesslich rund um den deutschen Rückraumspieler Christoph Steinert zu. Den Vergleich gegen Spanien (23:29) am Donnerstag sollte der positiv getestete Steinert eigentlich verpassen. Eine Stunde vor Spielbeginn erreichte ihn dann die Nachricht, sein Test sei falsch positiv, sprich: negativ. Steinert packte die Sportschuhe ein, schulterte die Tasche und rann vom Hotel in die Halle. Das Aufwärmen verpasste er, in der zweiten Halbzeit kam er zum Einsatz. Auch am Tag darauf gegen Norwegen (23:28) spielte Steinert, nur um am Samstag abermals positiv auf das Coronavirus zu testen. Steinerts emotionale Achterbahnfahrt erreichte ihren Tiefpunkt. Den Rest des Turniers verbringt der 32-Jährige in Isolation.
Diese Handball-EM produziert neben allen Corona-Schlagzeilen auch sportlich Erhabenes. Und illustriert, dass die Kleinen nicht mehr bereit sind, sich der vermeintlichen Übermacht der Grossen zu beugen. Die Niederlande etwa, wahrlich keine bedeutende Handballnation, begeistern durch eine rauschende Offensive um Kay Smits, den bisherigen Toptorschützen des Turniers. Montenegro spielt mit einem solchen Feuer, das keiner der anderen Mannschaften innewohnt. Auch mit dem Vorstossen der Russen in die Hauptrunde hat wohl kaum ein Experte gerechnet, und auch nicht damit, dass die (durch Corona geschwächten) Isländer gegen den klaren Favoriten Frankreich mit 29:21 gewinnen.
Es ist bislang die Europameisterschaft der Überraschungen, und doch wird am Ende wohl einer der üblichen Verdächtigen triumphieren. Die Dänen und die Spanier sind aufgrund der bisherigen Eindrücke die logischsten Titelkandidaten. Zwei Mannschaften aus dem Trio Frankreich, Schweden und Norwegen dürften das Halbfinaltableau komplettieren. Wenn nicht wieder das Coronavirus ganz andere Pläne hat.