Die Unternehmerin und Autorin Fränzi Kühne hat einfach mal Männern die Interviewfragen gestellt, die sonst immer nur Frauen beantworten sollen - zu Frisuren, Klamotten und Schuldgefühlen. Ein Gespräch über beknackte Themen und geknackte Klischees
Frau Kühne, mögen Sie keine Interviews?
Grundsätzlich mag ich Interviews. Ich schätze es, Leute zu treffen, die ich noch nicht kenne, und mich mit Ihnen zu unterhalten. In einem Café, auf einer Bank im Park oder auf einer Bühne zu sitzen und über Dinge zu sprechen, die allen Beteiligten wichtig sind – das ist mir eine Ehre und ein Vergnügen.
Trotzdem haben Sie ein Buch geschrieben über Interviewfragen, die Sie hassen.
Ja, denn das Problem ist: In kaum einem Gespräch geht es nicht irgendwann um meine Rolle als Frau, oder darum, dass ich anders bin und aus irgendeiner Rolle falle. Es geht um Klamotten, es geht um mein Aussehen, es geht um Familienpflichten. Auch darum, ob ich anderen Frauen als Vorbild dienen könnte oder einen besonderen Druck in dieser Männerwelt spüre.
Was wurden Sie genau gefragt?
Wie behaupten Sie sich in einer Männer-Domäne? Warum haben Sie dieses Kleid gewählt? Und wie gelingt Ihnen eigentlich der Spagat zwischen Job und Familie? Solche Dinge, die man Männer einfach nicht fragt. Stellen Sie sich mal vor, man würde lesen: Was wird der Fraktionsvorsitzende der Linken morgen anziehen? Hat man den Siemens-CEO schon mal wegen seiner optischen Attribute befördert? Wie lässt sich die Arbeit des erfolgreichen Start-up-Gründers mit der Rolle als Familienvater verbinden?
Wie erklären Sie sich das?
Wir pflegen eine Interview- und Medienkultur, die all die weichen Fragen nach Familie, Befinden, Vorbildwirkung, Vereinbarkeit und Aussehen bei Frauen für selbstverständlich, bei Männern aber für irrelevant hält. Die Pflicht der Frauen ist die Kür der Männer.
Als Gründerin einer erfolgreichen Digitalagentur und jüngste Aufsichtsrätin eines börsennotierten Unternehmens geben Sie jede Menge Interviews. Wann war der Punkt gekommen, an dem Sie es nicht mehr aushielten?
Am Anfang fand ich das gar nicht so wild. Ich dachte, wenn es hilft, zu thematisieren, dass man sich nicht verkleiden muss, um erfolgreich zu sein, dann lasst uns eben über meine Schuhe reden – meistens schwarze Chucks. Hätte ich aber geahnt, wie oft es bald um meine Schuhe gehen würde, hätte ich in den ersten Interviews nicht so bereitwillig über meine Modeentscheidungen gesprochen. Es kam mir langsam zu den Ohren raus: „Fränzi Kühne trägt zerrissene Jeans, Converse-Schuhe, Reißverschluss im Ohrloch und einen blonden Sidecut, sie sieht gar nicht wie die typische Aufsichtsrätin aus.“ Männer werden nach ihren Visionen gefragt, Frauen nach der Vereinbarkeit von Kind und Karriere, was gleich nach den Schuhen kommt.
Welche Frage wurden Sie in Interviews am häufigsten gefragt?
Was ziehen Sie zur nächsten Aufsichtsratssitzung an?
In ihrem aktuellen Buch haben Sie nun die Seite gewechselt und männlichen Gesprächspartnern solche Fragen gestellt, die normalerweise nur Frauen zu hören bekommen, darunter etwa Außenminister Heiko Maas, der Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi oder Siemens-Chef Joe Kaeser. Wie haben die Männer reagiert?
Ich muss sagen, dass mich manche von ihnen wirklich überrascht haben, weil sie sich ganz reflektiert und ernsthaft über die Fragen Gedanken gemacht haben. Zum Beispiel Jörg Eigendorf, Konzernsprecher der Deutschen Bank und Vater. Er denkt sehr modern über sich und seine Familie nach, lebt Vereinbarkeit und gleiche Verteilung der Verantwortung für die Kinder vor und bringt das natürlich auch in den Konzern ein.
Gab es auch verständnislose Reaktionen?
Ja, die gab es. Der Webdesigner und Musiker Fynn Kliemann etwa fühlte sich nach eigenen Aussagen eingeschüchtert, verunsichert und beleidigt von meinen Fragen. Bis er verstand, dass mir selbst genau diese Fragen gestellt wurden. Da war er ehrlich fassungslos.
Annalena Baerbock von den Grünen könnte die nächste Kanzlerin werden und muss sich aktuell vielen Fragen stellen. Meist geht es um politische Inhalte, oft aber auch um ihre Rolle als Mutter und die Vereinbarkeit von Kind und Karriere. Kommt Ihnen davon einiges bekannt vor?
Die Berichterstattung über sie ist für mich eine Steilvorlage, weil sie ganz deutlich zeigt: Bei ihr geht es nicht in erster Linie um ihre Position, ihren Status, ihre Visionen. Bei einer Frau wollen alle wissen, wie sie neben der Karriere noch dieses andere Projekt namens „Familie“ verwalten will. Sie wird darüber definiert, teilweise auch reduziert. Fast schlimmer als die Fragen an sich ist der immer präsente Unterton der Überraschung, des Erstaunens, der in der Berichterstattung über erfolgreiche Frauen mitschwingt, nach dem Motto: „Wie die das wohl geschafft hat?“
Zur Person
Fränzi Kühne , geboren 1983 in Ost-Berlin, ist Aufsichtsrätin, Mutter, Autorin, geschulte Verhandlungsführerin, Gründerin und langjährige Geschäftsführerin der einst ersten Social-Media-Agentur Deutschlands. Seit März 2018 ist Kühne im Stiftungsrat der AllBright-Stiftung und engagiert sich für mehr Frauen in Führungspositionen. Die Stiftung veröffentlicht regelmäßig Berichte über die Situation von Frauen in Führungsgremien. Seit Sommer 2020 sitzt Kühne im Beirat der Unternehmensberatung „365 Sherpas“, zudem im Aufsichtsrat von Freenet und der Württembergischen Versicherung. Sie publizierte zahlreiche Fachbeiträge zu den Themen Digitalisierung, Unternehmertum und Gender. In ihrem Buch zeigt sie den oft sexistischen Umgang mit Frauen in den Medien auf. „Was Männer nie gefragt werden. Ich frage trotzdem mal“ ist vor Kurzem im Fischer Verlag erschienen. 240 S., 14 Euro. lem
Sie gelten als die Ausnahme von der Regel.
Genau. Erfolgreiche Frauen bekommen einen Exoten-Status. Sie sind kein Indiz für eine echte strukturelle Veränderung, sondern eine Abweichung der Norm. Verraten Sie uns, wie Sie das allen Umständen zum Trotz geschafft haben? Welche Tipps geben Sie Frauen, die so weit kommen möchten wie Sie? Welche Vorbilder hatten Sie selbst, in wessen Fußstapfen konnten Sie treten? Dabei sollte das eigentliche Thema doch die mangelnde Chancengleichheit sein.
Die Fragen sind also nicht das Problem?
Absolut nicht. Gespräche über Vereinbarkeit von Kindern und Karriere sind berechtigt. Sie müssen aber mit allen Geschlechtern gleich häufig geführt werden. Davon profitieren am Ende alle. In meinen Interviews habe ich nämlich festgestellt: Männer erzählen unglaublich interessante Sachen, wenn man mit ihnen zum Beispiel über ihre Familien und ihre Vorbildfunktion spricht.
Gab es Gesprächspartner, deren Antworten Sie besonders berührt haben?
Ich habe Lars Hellmeyer, den Chefarzt für Geburtsmedizin und Gynäkologie an zwei Berliner Vivantes-Kliniken gefragt, welche Opfer er für seine Karriere bringen musste. Die Antwort war hochemotional. Weil er für seinen Job viele Jahre pendelte, hat er einen großen Teil der Kindheit seines 8-jährigen Sohnes verpasst. Auf einer gemeinsamen Schiffsreise wollte er ihm wieder näherkommen. Am Ende sagte sein Sohn zu ihm „Papa, geh nicht“. Dieser Satz hat ihn so berührt, dass er danach Karriere-Entscheidungen in Frage stellte. Auch, dass Gregor Gysi ein alleinerziehender Vater in Ostberlin war, hat mich überrascht. Normalerweise wird er nur zu politischen Inhalten befragt. Auch das zeigt wieder: Über private Dinge zu sprechen ist für Frauen Pflicht – für Männer Kür.
War das eines der Hauptergebnisse Ihrer Recherche?
In den Gesprächen wurde jedenfalls deutlich: Kaum ein Mann musste zwischen Kind und Karriere abwägen und hat reflektiert, warum das so ist und wer stattdessen den Preis dafür gezahlt hat. Es ging in der Erklärung dann viel um stillschweigende Vereinbarungen und vermeintliches Glück bei der Partnerwahl. Die Lebensrealität von Frauen sieht anders aus.
Was sollten Männer viel öfter gefragt werden?
Ich denke, dass Männer viel häufiger zu genau diesen Themen befragt werden sollten und eben nicht nur, wenn es menscheln soll. Wie stehen die Männer zum Umgang mit Verantwortung und Familie. Die Antworten sind sehr lehrreich.
Was war die blödeste Frage, die Ihnen je gestellt wurde?
Es gibt keine dummen Fragen. Aber nachdem ich Männer nun auch immer wieder gefragt habe, ob das, was sie gerade anhaben, ihr Standardoutfit ist, bin ich schon zu dem Entschluss gekommen, dass man daraus sehr wenig ableiten kann…
Gab es eigentlich Unterschiede in der Fragenkultur zwischen Magazinen, politischen Tageszeitungen und Online-Publikationen?
Bestimmte Fragen haben mir fast alle Journalistinnen und Journalisten gestellt, und zwar quer durch die Bank: „Handelsblatt“, „Grazia“, „Die Zeit“…
Welche Frage sollte die Gesellschaft dringend öfter diskutieren?
Die Diskussion um Vereinbarkeit kann so, wie wir sie führen, immer nur in Kreisen verlaufen. Wir weigern uns standhaft anzuerkennen, dass sich unsere Welt massiv verändert und dass von uns neue Ideen und Positionen gefragt sind. Wir wollen Zukunft gestalten, aber wir haben noch nicht einmal unsere Gegenwart beisammen. Daran müssen wir dringend arbeiten.
Interview: Anne Lemhöfer