Manchmal bieten Fragen eines Kindes die nächstbeste Gelegenheit, sein Weltbild zu erweitern. Foto: Aymors.com
«Du, Mama, warum tragen Männer eigentlich keine Klick-Klack-Schuhe?», fragte mich unlängst meine Tochter, als wir vom Hort heimgingen und uns eine Frau in eleganten Pumps entgegenkam.
Meine Tochter bewundert nämlich alle Sorten von Schuhwerk mit hohen Absätzen, von ihr eben liebevoll «Klick-Klack-Schuhe» genannt. Sie vergöttert die schicken Treter so sehr, dass ich meine paar hübschen Klick-Klack-Modelle längst in ungreifbare Höhe räumen musste, um sie vor ihren gierigen Fingern zu schützen.
Und ich glaube, es gehört zu den ungelösten Rätseln ihres Universums, dass ihre Mutter täglich in ausgelatschte Turnschuhe schlüpft, obwohl sie die unfassbare Möglichkeit besässe, sich potenziertes Glück um die Füsse zu schnallen. Wenn diese ihre ästhetische Ignoranz dann auch noch mit den Wörtern «bequem» und «praktisch» erklärt, wird sie von der Tochter mit dem gleichen angewiderten Blick beschenkt, der sonst nur Spinat auf ihrem Teller auszulösen vermag.
«Maaama, warum tragen Männer keine Klick-Klack Schuhe?», wiederholte meine Tochter ungeduldig ihre Frage. In meinem Hirn begann es zu rasen, anstatt dass ich das Kind einfach gefragt hätte, was SIE denn glaube, warum, und ob dem denn auch wirklich so sei.
Am liebsten hätte mein von einem anstrengenden Tag überlastetes Hirn die Frage ja in der Art der Generation unserer Grosseltern beantwortet – mit einem schlichten «Weil das so ist, Kind». Und im besten Fall hätte dann Ruhe im Karton geherrscht.
Doch solch eine – nicht nur undifferenzierte, sondern im Jahr 2019 auch haarsträubend falsche – Antwort kam mir selbstverständlich nicht in den politisch korrekten Mund. Nicht nur, dass dabei die so wichtige kindliche Neugier unterdrückt worden wäre, ich hätte damit auch ganz nebenbei – pfui! – Stereotypen zementiert und Randgruppen diskriminiert.
Schliesslich gibt es in unserer so vielschichtigen Gesellschaft auch Transvestiten und Transsexuelle, die durchaus männlich und trans-klick-klacken. Also bot Tochters Frage doch DIE Gelegenheit, diese Menschen in ihr Weltbild einzuflechten. Auch hätte ich durch möglichst sorgfältig gewählte Worte gleich etwas zum Wohl ihrer späteren Liebesbeziehungen (falls diese denn heterosexuell sein würden) beigetragen, indem ich ihr nahegebracht hätte, dass auch Männer ihre weiblichen Seiten leben sollten.
Obwohl, ehrlich gesagt, müsste ich wohl bedeutend mehr als nur leer schlucken, wenn mein Mann sich mir dereinst mit hochhackigen Schuhe präsentieren würde. Also doch lieber dem Kind einfach sagen, dass eine Frau nicht dann schön ist, wenn sie hohe Absätze trägt, sondern, wenn sie sich in ihrer Haut wohlfühlt? Und dass es im Leben sowieso und hauptsächlich auf die inneren Werte ankommt und es keineswegs erstrebenswert ist, sich zu sehr über sein Aussehen zu definieren?
«Mama, sag jetzt, warum tragen Männer keine Klick-Klack-Schuhe?», tönte es, langsam sichtlich entnervt, fünfzig Zentimeter unter mir.
Doch die Komplexität unserer Welt und mein aussichtsloser Versuch, Worte für diese zu finden, hatten mich gerade so in den Boden gehauen, dass ich am liebsten auf den selbigen gelegen wäre, in die Wolken geguckt und nie mehr auch nur eine Sekunde über klick-klack-lose Männer nachgedacht hätte.
Und so schaffte ich nicht mal mehr ein: «Weil das so ist, Kind!», sondern strich meiner Tochter stumm – aber politisch äusserst korrekt – über den Kopf.
Sabine Sommer lebt mit Mann und zwei Kindern in Zürich, arbeitet als Sachbearbeiterin und schreibt an ihrem Roman, wann immer es der ganz normale Wahnsinn zulässt. Und wenn nicht, dann erst recht. Schliesslich bietet das Leben in genau jenen Momenten die besten Geschichten.