Ein Litprom-Literaturfest fragt nach den Möglichkeiten von Vernetzung und Übersetzung
In einer idealen Welt wäre es nicht entscheidend, wer mein Werk übersetzt“, erklärt der nigerianische Autor Helon Habila, als er beim 10. Litprom-Literaturfest die gerade äußerst umstrittene Frage beantworten soll, wer seine Texte vorzugsweise übersetzen soll. Noch sei die Realität von historischen Ungleichheiten geprägt und der Weg weit, bis nicht-weiße Übersetzer gleiche Anerkennung erhalten und nicht mehr marginalisiert werden. Im realen Leben hat der in den USA lebende Autor allerdings keinen Einfluss darauf, wer seine im Wunderhorn-Verlag erscheinenden Werke ins Deutsche übersetzt. Denn bisher war es nicht üblich, dass man als Autor Leitlinien für die Standards der Übersetzung seiner Texte festlegen konnte.
Starre Strukturen sind im literarischen Betrieb seit langer Zeit ein Ärgernis. Litprom kämpft bereits seit mehr als vier Jahrzehnten darum, Literaturen, die vom Buchmarkt marginalisiert werden, deutschen Lesern zugänglich zu machen. Der Streit um die kulturelle Kompetenz von Übersetzungen sowie einseitige Preislisten und Juryzusammensetzungen stößt hier auf Verständnis.
In diesem Jahr nutzt der eng mit der Buchmesse verbundene Verein die Chance, das Literaturfest unter dem Motto: „Global vernetzt oder Jede*r für sich?“ vom Literaturhaus Frankfurt aus digital auszurichten. Das Netz ist via Zoom und Stream über Kontinente hinweg in alle Himmelsrichtungen ausgespannt. Rund 200 Personen waren von Jerusalem bis Island zugeschaltet, erklärt Litprom-Pressesprecherin Marcella Melien.
Nicht nur technisch hat sich das Literaturfest aktualisiert, das von der Verlegerin Barbara Weidle und der Krimiautorin Zoe Beck kuratiert worden ist. Auch brennende Themen der Gegenwart rückten in den Vordergrund. Warum scheint die Welt rassistischer geworden zu sein, obgleich bis vor einem Jahr noch mehr globales Reisen möglich war?
Im virtuellen Eröffnungspodium, das von der Sinologin Claudia Kaiser, Mitglied der Geschäftsleitung der Frankfurter Buchmesse, moderiert wird, geht es um das Reisen, das hier nicht für touristische Erholung steht, sondern für eine Bewegung, die teils erzwungen, teils freiwillig erfolgt. Geschlecht, nationaler Status und Herkunftsprivilegien determinieren die Spielräume jedes Einzelnen auf ungleiche Weise. Das gilt selbst dann, wenn man die Reise virtuell vollzieht. Denn auch der Zugang zum Internet sei, so die indonesische Autorin Intan Paramaditha, ein Privileg. In ihrem bisher noch nicht ins Deutsche übersetzen Roman „Wandering“ beschreibt sie anhand diverser Zugangsoptionen, wie geplante Besichtigungsrouten Blickwinkel festlegen und erwartete Klischees festigen können. Rote Schuhe spiegeln in der internationalen Literatur die weibliche Sehnsucht nach Mobilität wider, erzählt Intan Paramaditha. Meist werde die Frau jedoch für ihre Bereitschaft zu reisen bestraft.
Die zweite Diskussionsrunde führt nach Südafrika und Berlin. Die Autorin Zukiswa Wanner beschreibt im Gespräch mit dem Journalisten Ulrich Noller, wie es die digitale Vernetzung ermöglicht, das Nadelöhr internationaler Verlage zu umgehen und Texte, die auf dem afrikanischen Kontinent geschrieben werden, direkt innerhalb der afrikanischen Community zugänglich zu machen. So gelingt es, sich von den US- und eurozentrischen Wunschlisten zu lösen und nach anderen Kriterien ausgewählte Autoren und Autorinnen zur Übersetzung zu bringen.
Auch Annika Reich bemüht sich von Berlin aus um digitale Vernetzung, indem sie geflüchtete Autorinnen und Autoren aus der Isolation herausführt und in Tandem-Konzepten mit im Literaturbetrieb verknüpften Personen zusammenzuführt.
Beim literarischen Brückenbau haben Übersetzer und Übersetzerinnen eine bedeutende Rolle. Im Gespräch mit Claudia Kramatschek erläutern Larissa Bender und Katja Cassing, wie wichtig es ist, beim Übersetzen den kulturellen Hintergrund eines Textes zu kennen. Wer wie Larissa Bender aus der arabischen Sprache übersetzt, muss zunächst eine Rohübersetzung anfertigen. Da Worte keine Vokale besitzen, kann die Bedeutung der einzelnen Worte nur über den Kontext erfasst werden. Ohne Kenntnis der kulturellen Umgebung kann es zu Fehldeutungen kommen, Nuancen würden im Übersetzungsvorgang verloren gehen. Für Katja Cassing, die aus dem Japanischen übersetzt, war es eine der stärksten Hürden, als Studentin Einblick in das Familienleben zu erhalten. Ausgeholfen hätten ihr, so die Japanologin, die im Fernsehen zugänglichen Dorama. Die beliebten japanischen Fernsehserien ergänzten teilweise den zum Übersetzen notwendigen Hintergrund.