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Wirkung wie eine Therapie - Darum tut Barfussgehen so gut

Wirkung wie eine Therapie - Darum tut Barfussgehen so gut

Wirkung wie eine Therapie - Darum tut Barfussgehen so gut

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Wirkung wie eine Therapie – Darum tut Barfussgehen so gut

Wir zwängen unsere Füsse tagelang in Socken und Schuhe. Das schadet dem ganzen Körper. Fachleute raten deshalb, so oft wie möglich barfuss zu gehen – auch im Freien.

Annette Wirthlin

In Jakobsbad, unweit von Appenzell, ziehen wir Schuhe und Socken aus und stopfen sie in den Rucksack. Der Barfusswanderweg führt zuerst über eine saftige, taufeuchte Wiese mit federndem Untergrund – eine Wohltat für unsere bleichen Füsse. Schon bald folgen wir dem Lauf eines Bächleins, wo die aufgeweichte Erde bei jedem Schritt schmatzend zwischen unseren Zehen hervorquillt. Später, auf einer Holzbrücke, setzen wir jeden Fuss mit Bedacht auf, es könnte hervorstehende Nägel haben …

Barfuss zu wandern, fühlt sich ungewohnt an. Aber es ist gesund. Fachleute empfehlen, sich so oft wie möglich der Schuhe zu entledigen. Nicht nur auf dem Wanderweg, sondern auch zu Hause.

Der deutsche Barfuss-Experte Carsten Stark schreibt in seinem Buch «Füsse gut, alles gut», dass viele körperliche Beschwerden ihren Ursprung in einer mangelhaften Vitalität der Füsse haben. Selbst Leiden, die vordergründig nichts mit den Füssen zu tun haben, wie Kopfweh, Kiefer- und organische Probleme. «Der Fuss hat einen grossen Einfluss darauf, was im Rest des Körpers passiert», ist auch Moritz Rose überzeugt, der in Zürich die Praxis Rose Physio mit eigenem Fusskonzept führt.

Meist kommen die Patientinnen und Patienten wegen eines vermeintlich kaputten Knie- oder Hüftgelenks zu ihm. Doch dann sieht der Physiotherapeut Füsse, die nicht richtig stehen und abrollen, schwache, unbewegliche oder steife Füsse.

Viele Menschen, sagt Moritz Rose, schenkten ihren Füssen kaum Beachtung. Einen untrainierten, in seinen Funktionen eingeschränkten Fuss erkennt Moritz Rose oft schon bei einem Blick auf die Fusssohle. Wenn es am Grosszehenballen überhaupt keine Hornhaut hat, ist dies ein Zeichen, dass der Fuss beim Gehen nur über die Aussenkante abrollt, weil die Grosszehe zu schwach ist.

Auch die Ausweichbewegungen, die Menschen machen, geben dem Physiotherapeuten Aufschluss über die Schwächen eines Fusses. «Bindet sich jemand vornübergebeugt mit gestreckten Beinen die Schuhe, ist vermutlich das Sprunggelenk blockiert.»

Wie vital die eigenen Füsse sind, kann man auch selbst überprüfen: Können Sie mit geschlossenen Augen auf einem zusammengefalteten Handtuch die Balance halten?

Zeigen beide Füsse beim Stehen gerade nach vorne, oder ist ein Fuss mehr abgewinkelt als der andere?

Liegen alle Zehen flach auf dem Boden auf, oder zeigen einige in die Luft?

Sind die Zehen eingekrallt, verliert der Fuss seine fürs Abfedern so wichtige Gewölbestruktur.

Den folgenden Test macht man im Sitzen: Wie gross ist der Winkel zwischen Fuss und Bein, wenn Sie mit gestreckten Beinen die Zehen Richtung Nase ziehen? 90 Grad sollten möglich sein.

Zu kleine Frauenschuhe

Häufig rühren Fussprobleme daher, dass sie zu oft in Schuhe eingezwängt werden. Vor allem Frauenschuhe werden meist zu klein gewählt und sind, wenn sie hohe Absätze haben, sowieso eine Tortur für den Vorfuss.

Auch Flipflops sind für längeres Gehen nicht geeignet. In ihnen schlurft der Fuss mehr über den Boden, als dass er abrollt, und das verkrampfte «Festhalten» der Schlappen fördert das Entstehen sogenannter Krallenzehen.

Aber selbst die modernsten, teuersten Laufschuhe können Probleme verursachen.

Wirkung wie eine Therapie - Darum tut Barfussgehen so gut

«Optimal aktiv ist der Fuss nur beim Barfusslaufen», sagt der Fussspezialist. Beim natürlichen Gang, den viele verlernt haben, setzt der Fuss «leise» auf der Ferse auf. Dann rollt er via Aussenfusskante und Fussballen ab. Zuletzt drückt die Grosszehe den Fuss mit Kraft vom Boden ab. Die Knie sollten stets weich und locker bleiben.

Wichtig ist auch die Kopfhaltung, da sonst die Wirbelsäule nicht aufrecht ist. «Man kann sich vorstellen, dass man den Boden fünf Meter vor sich mit einer Stirnlampe beleuchtet», sagt Moritz Rose.

Die markierte Route des Appenzeller Barfussweges führt durch eine liebliche, leicht hügelige Landschaft. Wir gehen Weideflächen entlang, über frisch gemähte, stoppelige Wiesen – das kitzelt! – und über wurzelige Trampelpfade. Bei einer Baustelle müssen wir eine kurze Schotterstrecke überwinden und dann ein Stück auf einer neu asphaltierten, von der Sonne erhitzten Strasse. Autsch!

«Der Fuss gibt dem Gehirn laufend Informationen darüber, wie der Boden beschaffen ist», sagt Physiotherapeut Moritz Rose. Auf diesen Informationen bauen sich all unsere Bewegungen auf.

Der Körper ist von Fuss bis Kopf von zusammenhängenden Muskelketten durchzogen. Beim Auftreten sendet die Ferse einen Impuls an die Waden-, Bein- und Rückenmuskulatur, welche sich intuitiv anspannen, um den Schritt optimal abzufedern.

«Blinde» Füsse in solidem Schuhwerk

«Ob schräg, rutschig oder uneben: Haltung und Körperspannung passen sich stets an den Untergrund an.» Mit allzu gut gedämpften Schuhen wird diese Kettenreaktion unterbrochen. Die Folge: Wir patschen nur so dahin, ohne richtig abzurollen, und weil die Informationen über den Aufprall fehlen, rammen wir die Ferse zu stark in den Boden.

Bei dicken Plateau- oder Wanderschuhsohlen laufen wir sogar noch Gefahr, durch die seitliche Hebelwirkung umzuknicken. Der deutsche Barfussexperte Carsten Stark schreibt in seinem Buch: «In solidem Schuhwerk sind die Füsse blind, weil ihnen fast die komplette Sensomotorik verwehrt wird.»

Die Auswirkungen ungünstiger Schuhe kumulieren sich mit der Zeit. Die Senk-, Spreiz- und Plattfüsse, die Hammerzehen und deformierten Grosszehen, die Moritz Rose täglich zu sehen bekommt, sind über Jahre entstanden. Dasselbe gilt auch für die Lendenwirbelsäulen-, Fusssohlen- oder Achillessehnenschmerzen, die gerade für Läufer mit zu weichen Sportschuhen typisch sind. Häufig rät der Fachmann in diesen Fällen, mehr barfuss zu gehen.

Nicht zuletzt tut das Barfussgehen auch unserem Herz-Kreislauf-System gut. Das Herz pumpt pro Minute einmal das gesamte Blutvolumen durch den Körper. Das wäre nicht möglich ohne die sogenannte Venenpumpe, die das Blut auch gegen die Schwerkraft zurück zum Herzen transportiert.

Carsten Stark erklärt: «Durch die Aktivität der Zehen und des Fusssohlenbereichs werden die Venen mit jedem Schritt von den Beinmuskeln automatisch zusammengepresst und entleeren sich nach oben hin. Ein Rückfluss wird durch die Venenklappen verhindert.» Je vitaler und trainierter der Fuss ist, desto besser funktioniert dieses ausgeklügelte und für unsere Herzgesundheit so wichtige Zusammenspiel.

Carsten Stark nennt noch zahlreiche weitere Vorteile des Barfussgehens: Durch die verbesserte Muskelaktivität würden auch die Lymphgefässe komprimiert und entstaut und die Wirbelsäulenmuskulatur in der tiefen Muskelebene angeregt und gekräftigt.

Die Fussgelenke, so Stark, werden besser bewegt und sorgen deshalb für eine gesteigerte Ausscheidung der Stoffwechselabbauprodukte, die zu Arthritis oder Arthrose beitragen können.

Die Harnsäurewerte sinken, weil die Nieren das Laktat besser entsorgen können.

Und schliesslich soll es auch den Stoffwechsel anregen – offenbar muss man beim Barfusswandern öfter «in die Büsche».

Empfehlenswert auch für Senioren

Es gibt also viele Gründe, das Barfusslaufen zu pflegen. Doch der Körper braucht Zeit, um sich daran zu gewöhnen. «Wenn die Fussstrukturen nicht ordentlich vorbereitet sind, kann es auch mal einen Ermüdungsbruch geben», warnt Moritz Rose. Wer bislang kaum barfuss gegangen ist, fängt am besten damit an, zu Hause jeweils für ein paar Minuten die Finken, später auch die Socken wegzulassen.

Dann spielt man vielleicht einmal barfuss mit Kindern auf dem Rasen oder schreitet achtsam über einen Sand- oder Kiesstrand. Hänge und unebenes Gelände empfiehlt Physiotherapeut Moritz Rose erst, wenn man eine gewisse Sicherheit erlangt hat. Finnenbahnen oder spezielle Barfuss-Vita-Parcours eignen sich als Übungsorte für längere Barfussstrecken. Gut ist auch Stand-up-Paddeln: «Das ständige Ausbalancieren auf dem Wasser sensibilisiert und kräftigt die feine Fussmuskulatur.»

Besonders vorsichtig sollten laut Moritz Rose Menschen mit einem diagnostizierten Spreizfuss oder sogenannten Hammerzehen vorgehen: «Es lohnt sich, vorab den Rat einer medizinischen Fachperson einzuholen.»

Ansonsten gebe es kaum Gründe, weshalb man nicht barfuss gehen sollte – und zwar in jedem Alter. «Für Senioren ist es Gleichgewichtsübung und Sturzprophylaxe zugleich», sagt Moritz Rose. Und auch für ganz kleine Kinder laute die Devise: Raus aus den Schuhen, so oft es geht. «Das ist gut für die Entwicklung des Fusses.»

Beim Bahnhof Gontenbad zeigt sich, dass die fünf Kilometer lange Barfusswanderung für uns Anfänger doch etwas ambitiös war. Besonders die letzten paar Minuten auf einem Kiesweg haben unsere ungeübten Füsse für heute mit mehr als genug «sensorischem Input» versorgt. Wir sind froh, wieder in die schützenden Turnschuhe steigen zu können. Doch das warme, angenehm kribbelnde Gefühl in den Fusssohlen begleitet uns auf der ganzen Zugfahrt bis nach Hause.

Dieser Artikel ist die gekürzte Version eines Beitrags, der in der «Schweizer Familie» erschienen ist.

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