Wer einmal eine Hollywood-Gala etwa bei den Oscar-Verleihungen im TV gesehen hat, der ahnt, welche Bedeutung Mode heute hat. Männer haben es dort relativ einfach: Frack, Fliege, teure Schuhe, fertig. Frauen dagegen unternehmen oft enorme Anstrengungen, um auf dem roten Teppich aufzufallen. Wer hat was getragen? Diese Frage spielt in der Berichterstattung oft eine große Rolle. Auch die Blazer der Noch-Übergangskanzlerin Angela Merkel wurden regelmäßig hinterfragt, selbst von Polit-Kabarettisten.
Mode spielt also eine große Rolle in unserem Leben. „Lifestyle im Archiv“ hat das Hessische Staatsarchiv Marburg seine neue Ausstellung betitelt, die sich bis zum 12. März kommenden Jahres mit hessischer Kleidung beschäftigt – allerdings nicht mit aktueller Mode. Die überlässt das Staatsarchiv Modezeitschriften und Magazinen.
Die Ausstellung, eine Koproduktion der drei hessischen Staatsarchive in Wiesbaden, Darmstadt und Marburg, richtet den Blick auf die vergangenen sechs Jahrhunderte. Die Exponate umfassen einen Zeitraum vom 15. bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts – also von einer Kleidungsanordnung des Landgrafen Wilhelm von Hessen bis zum Aufkommen von Nylonstrümpfen Mitte des 20. Jahrhunderts.
Dennoch, Lifestyle würde man in einem Archiv wie dem Hessischen Staatsarchiv Marburg eher nicht vermuten. Dort lagern auf rund 75 Regalkilometern vor allem wichtige Urkunden und Schriftzeugnisse, die ältesten datieren aus dem 8. Jahrhundert, wie Abteilungsleiter Dr. Johannes Kistenich-Zerfaß erklärt. Aber in den Staatsarchiven wurden auch Gegenstände eingelagert, die man vielleicht eher in einem Museum vermuten würde – wie etwa die wuchtigen Strohschuhe, die Archivare im einstigen Archiv im Landgrafenschloss gegen die Kälte trugen. Oder ein Militärhut aus der napoleonischen Zeit.
In den Vitrinen im Foyer präsentieren die Ausstellungsmacherinnen und -macher neben alten Stoffproben wie „Plüsch aus Diez“ vor allem historisches Bildmaterial. Darunter ist die wohl früheste Modezeichnung aus den Beständen des Archivs.
Die Zeichnung aus dem Jahr 1498 zeigt einen jungen Mann mit wallenden blonden Locken, der die neueste Mode seiner Zeit trägt: enge, rote und in Streifen eingefärbte Strumpfhosen, die an heutige Leggins erinnern (man sieht, alles kehrt zurück). Schwarz und streng war die Tracht am spanischen Hof, die sich im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert an europäischen Höfen durchsetzte, bis im barocken Frankreich extravaganter Luxus angesagt war.
Auf neun beleuchteten Stellwänden informiert die Ausstellung über „Trachten und Nostalgie“, über „Uniformen und Staatlichkeit“ oder „Accessoires und Beautyprodukte“ wie die Turmfrisuren des Barock oder die Nylonstrümpfe aus der Mitte des 20. Jahrhunderts.
Diese „Themenbereiche sollen erkunden, was die Sprache der Mode über die jeweilige Zeit aussagt“, so das Staatsarchiv. Die Mode der letzten sechs Jahrhunderte verrate viel über „die dahinterliegenden Absichten und Weltanschauungen“. Denn lange Zeit durfte nicht jeder alles tragen. Kleidung war immer auch Ausdruck des Standes, dokumentierte Reichtum oder bittere Armut.
Und die Bilddokumente zeigen eben nicht die ärmlichen Fetzen, die ein Bauer im Mittelalter und der frühen Neuzeit trug, sondern vor allem Mode der gehobenen Stände.
Dr. Constanze Sieger, die für die Öffentlichkeitsarbeit am Staatsarchiv zuständig ist, sowie Dr. Katrin Marx-Jaskulski, stellvertretende Abteilungsleiterin, und Abteilungsleiter Dr. Johannes Kistenich-Zerfaß, planen während der Ausstellungsdauer eventuell zudem eine Modenschau, „wenn es die Corona-Pandemie zulässt“. Von Marburg aus geht die Ausstellung im kommenden Frühjahr erst nach Wiesbaden und dann nach Darmstadt. 2022 plant das Staatsarchiv in Marburg zudem eine große Ausstellung zum Stadtjubiläum „Marburg 800“.
Die Ausstellung ist bis zum 12. März 2022 im Hessischen Staatsarchiv Marburg, Friedrichsplatz 15, zu sehen; geöffnet Montag bis Freitag von 9 bis 17.30 Uhr. Telefonische Voranmeldung ist erbeten: 0 64 21 / 92 50-0.
Eine Registrierung vor Ort ist erforderlich (Luca-App). Derzeit ist ein Betreten des Hauses nur mit Negativnachweis (geimpft, getestet, genesen) möglich.
Von Uwe Badouin