Bei der Premiere des Mixed-Teamspringens bei den Olympischen Spielen in Peking gerät der Sport nach fünf Disqualifikationen in den Hintergrund. Wie es dazu kam und was die Protagonisten dazu sagen.
Das erste Mixed-Team-Springen unter den Olympischen Ringen sollte eine feierliche Premiere werden und wurde zu einem einzigen Aufreger. Dass Slowenien seiner Favoritenrolle gerecht wurde und hochverdient gewann und Russland und Kanada mit Silber und Bronze die Skisprung-Welt auf den Kopf stellten, verkam zur Nebensache. Ausgelöst wurden diese Überraschungen nämlich erst durch satte fünf Disqualifikationen. Allesamt gegen Skispringerinnen, während ihre männlichen Kollegen unbehelligt blieben. Doch, wie kam es dazu und wie reagierten die Protagonisten?
Fast auf die Sekunde genau um 20 Uhr Ortszeit (13 Uhr MEZ) nahm das Mixed-Teamspringen seine erste von unzähligen Wendungen: Sara Takanashi, die Japan in der ersten Gruppe mit 103 Metern auf Platz zwei gesprungen hatte, wurde disqualifiziert. Für die unglückliche Vierte des Einzels brach eine Welt zusammen. Weinend kauerte sie auf dem Boden, konnte sich kaum beruhigen. Auch nicht, als Ryoyu Kobayashi ihr, sich und Yukiya Sato und Yuki Ito den Sprung ins Finale bescherte. Auch nach ihrem Finalsprung auf 98,5 Meter kullerten die Tränen. Diese wären vermutlich auch nur bei einer Medaille getrocknet, doch es sollte nicht sein. 8,3 Punkte fehlten am Ende auf Kanada.
Kaum eine Viertelstunde nach Takanashi, die bei zusammengerechnet über 200 Weltcup- und Sommer-Grand-Prix-Starts ganze drei Mal disqualifiziert wurde, erwischte es mit Daniela Iraschko-Stolz die nächste Grande Dame des Damen-Skispringens. Auch bei ihr lag es am Anzug, genauer gesagt am Hüftband, wie der Österreichische Skiverband (ÖSV) frühzeitig dem ‚ORF‘ bestätigte. Die 38-Jährige wirkte einigermaßen gefasst, als sie dem Rundfunk sagte: „Ich bin selber schuld, weil ich dafür verantwortlich bin, dass alles passt. Mir tut es für das Team leid. Die Anderen springen sensationell und ich verhaue es.“
Die Österreicherin war in ihrer Karriere zuvor nur zweimal aus der Wertung genommen worden und auch dieses Mal wollte man beim ÖSV auch gar nichts anfechten, so der Sportliche Leiter Mario Stecher: „Zu weit ist zu weit, das muss man so akzeptieren.“
Doch das Zustandekommen hinterließ auch beim ehemaligen Nordischen Kombinierer große Fragezeichen: „Wenn man ein ganzes Jahr Zeit hat, Messungen durchzuführen und das Reglement einigermaßen zu befolgen und dann aber erst bei Olympia rigoros durchgreift, dann muss ich schon fragen, ob das der richtige Weg ist.“
Als Stecher nach dem Wettkampf seine Äußerungen tätigte, wusste er bereits, was um 13:15 Uhr (MEZ) noch niemand wissen konnte: Es würde nicht bei diesen zwei prominenten Fällen bleiben. Wiederum nichtmal eine Viertelstunde später fiel plötzlich auch das deutsche Team in der Wertung weit zurück, ohne, dass eine Nation dahinter vorbeigezogen war. Nun war auch Katharina Althaus disqualifziert. Auf Instagram schrieb sie einige Stunden nach dem Wettkampf: „Ich wurde in elf Jahren noch NIE !!! disqualifiziert“ und „Ich habe keine Worte dafür, was heute für Entscheidungen getroffen wurden.“
Auch Karl Geiger traf der Schlag. Just hatte er seinen Sprung auf 101,5 Meter absolviert, den besten auf dieser schwierigen Normalschanze, die er bis zum zweiten Sprung im Einzel einfach nicht knacken konnte. „Das war der Erste, der mir auf der Schanze gelungen ist und ich dachte ‚jawoll, jetzt kann ich dem Team helfen‘. Aber das ist eine harte Nummer. Wir waren gut. Ich habe Kathas Sprung gesehen, bevor ich rausgegangen bin. Dass da jetzt gleich drei rausgehauen wurden, verstehe ich nicht. Die werden das gleiche Material gesprungen sein wie sonst auch und da wird sicher nix dran gemacht worden sein. Ich weiß nicht, was da kontrolliert worden ist“, rätselte Geiger im ‚ZDF‘.
Während Österreich und Japan es aber noch ins Finale schafften und ihren (scheinbar) aussichtslosen Kampf um Edelmetall weiter fechten konnten, war für Geiger und Co. der Wettbewerb an dieser Stelle jedoch gelaufen. Platz neun, keine Sprünge mehr im Finaldurchgang und statt Edelmetall nur Frust und Unverständnis. Herren-Bundestrainer Stefan Horngacher schimpfte im ‚ZDF‘: „Bei Olympia fangen sie plötzlich an, anders oder mehr zu messen. Für mich ist das alles ein Kasperltheater. Im Herren-Bereich hatten wir immer wieder Probleme und andauernd werden neue Regeln aufgestellt.“
Dennoch nahmen die Verantwortlichen, vor allem in Person von Teammanager Horst Hüttel direkt Gespräche mit den anderen beiden betroffenen Nationen auf. „Wir sind oben mit Österreich und Japan zusammengestanden und haben die Sache besprochen. Wir sind alle stocksauer. Die Mädchen sagen unisono, sie sind alle die gleichen Anzüge gesprungen wie im Einzel-Wettbewerb. Und dort hat alles gepasst. Das ist eine nicht nachvollziehbare Situation“, schilderte Hüttel.
Katharina Althaus als betroffene Athletin konnte und wollte sich zunächst nicht öffentlich äußern, doch der Funktionär verriet: „Katharina sagt, sie ist komplett durchgecheckt worden, solange wie noch nie und sie hatte das Gefühl, solange bis irgendwas gefunden wurde.“ Wie bei Takanashi und Iraschko-Stolz war es ebenfalls eine Stelle am Anzug, die nicht den Regeln entsprach, doch für Hüttel stand bereits fest: „Wenn man drei der Top-Athletinnen rausnimmt, muss man sich als FIS auch hinterfragen, ob da alles richtig läuft. Für unseren Sport ist das richtig großer Mist.“
Als Hüttel seinem Ärger Luft machte, begann der Finaldurchgang und es sollten noch weitere Mitteilungen aus dem Materialcontainer kommen. Im Abstand von nur wenigen Minuten wurden mit Anna Odine Stroem und Silje Opseth gleich beide Norwegerinnen disqualifiziert. „Ich bin einfach nur geschockt. Ich verstehe gar nichts von dem, was heute passiert ist“, sagte Opseth nach der ersten Disqualifikation ihrer Karriere völlig aufgelöst bei ‚NRK‘. Auf die Nachfrage, ob gezielt nur die Damen kontrolliert würden, antwortete sie: „Es sieht so aus, es wurden ja nur Damen disqualifiziert. Keine Ahnung.“
Auch Horst Hüttel konnte den Eindruck nicht loswerden, dass die Damen gezielt in den Fokus geraten seien: „Das ist schon ein spezifisches Thema bei den Frauen. Aber es scheint so, als ob ein Prozedere angewendet wurde, was vorher so noch nicht der Fall war. Und wenn dies so ist, dann muss man den ganzen Prozess hinterfragen, Es hat ja auch nicht einen Mann erwischt.“
Stroem, die bei fast 100 Weltcup-Starts lediglich einmal bei der Materialkontrolle aufgefallen war, bestätigte, dass die Kontrollen anders abgelaufen seien als üblich: „Wir sollten uns anders hinstellen als sonst. Aber so ist es manchmal. Wir können aber nichts daran ändern, nur daraus lernen. Es geht weiter, auch wenn es unfassbar seltsam gelaufen ist. Ich bin ehrlicherweise etwas sprachlos.“
Manuel Fettner, der tags zuvor noch Silber gewonnen hatte, wirkte ebenso ratlos: „So in der Form ist mir das noch nicht untergekommen. Mir fällt es schwer zu beurteilen, ob sie jetzt zum ersten Mal so streng kontrolliert haben. Aber mir fällt auch schwer zu glauben, dass Danie und die Anderen sinnlos so etwas riskiert hätten.“ Ähnlich erging es Stroems Landsmann Robert Johansson: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich so etwas jemals erleben würde. Es fühlt sich einfach nur chaotisch und verwirrend an. Es war ein komischer Wettkampftag.“
Sein Teammanager Clas Brede Braathen kündigte an, eine Erklärung seitens der FIS einzufordern: „Wir müssen das tun, natürlich müssen wir das tun.“ An den Ergebnissen könne man nun nichts mehr ändern, „aber wir müssen wissen, was passiert ist und auf die Zukunft dieses Sports aufpassen.“ An einer zweites Erlebnis dieser Art dürfte freilich niemand der Protagonisten Interesse haben.