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Von: Christiane Kühl
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Im Streit um Zwangsarbeit auf Baumwollfeldern in Xinjiang stehen Modefirmen wie H&M oder Nike plötzlich Boykotten in China gegenüber. Sie hatten wegen der Vorwürfe den Einkauf aus Xinjiang gestoppt.
Brüssel/Peking/München - Es ist wieder die Zeit für Boykotte. Wie so oft, wenn China mit anderen Ländern in Konflikt ist, rufen Staatsmedien, einzelne Film- und Musikstars und Internet-User:innen zu Waren-Boykotts auf.
Dieses Mal gilt der Zorn gleich dem gesamten Westen: Am Montag hatten die EU, die USA, Großbritannien und Kanada zeitgleich Sanktionen gegen chinesische Politiker wegen des harten Vorgehens gegen die muslimische Minderheit der Uiguren in der Autonomen Region Xinjiang verhängt. Firmen, die aufgrund der Menschenrechtslage und des Verdachts auf Zwangsarbeit auf Baumwollfeldern in Xinjiang keine Baumwolle mehr aus der Region beziehen - und dies auch öffentlich kundgetan hatten - stehen nun im Fokus.
Als erstes trafen chinesische Boykotte am Mittwoch den schwedischen Modekonzern Hennes & Mauritz (H&M) - als jemand Aussagen von H&M vom Frühjahr 2020 ausgrub. Schon damals kündigte das Unternehmen an, in Xinjiang keine Baumwolle mehr einzukaufen. Produkte von H&M verschwanden ab Mittwoch von den großen Online-Shoppingportalen wie Alibabas Taobao.com. Staatliche Medien warfen H&M "Lügen" und "Hintergedanken" vor. Die Jugendliga der Kommunistischen Partei Chinas ätzte laut der Nachrichtenagentur Reuters: „Gerüchte verbreiten, um Xinjiang-Baumwolle zu boykottieren, während man gleichzeitig in China Geld verdienen will? Wunschdenken!“ H&M China versuchte sich zu wehren: Der Konzern teilte mit, er vertrete "keine politische Position" und werde sich weiterhin für langfristige Investitionen in China einsetzen.
In Xinjiang liegt eines der weltweit wichtigsten Baumwollproduktionsgebiete, das - in der Regel über Zwischenhändler - auch viele westliche Unternehmen beliefert. Die USA haben im Januar Einfuhren von Baumwolle und Tomaten aus Xinjiang verboten. Aus Xinjiang stammen außerdem auf dem Weltmarkt verwendete Chemikalien oder Polysilikon - ein Vorprodukt für Fotovoltaikzellen. Die aktuellen Probleme der Modebranche dürften also demnächst auch andere Sektoren erreichen.
In den vergangenen zwei Jahren beschlossen neben H&M auch andere Bekleidungsfirmen wie Adidas, Nike, Fila, Hugo Boss oder Burberry, aus Xinjiang keine Baumwolle mehr zu beziehen. Viele von ihnen sind Mitglied der Better Cotton Initiative. Das Bündnis bemüht sich um Nachhaltigkeit in der Branche - und hat Anfang 2021 eine Task Force zu Arbeitsbedingungen und Zwangsarbeit gegründet.
„Menschenwürdige Arbeit und Zwangsarbeit sind entscheidende Nachhaltigkeitsthemen in der Baumwollproduktion. Bei BCI setzen wir uns dafür ein, unsere Fähigkeiten in diesen Fragen weiter zu stärken“, sagte BCI-Geschäftsführer Alan McClay damals. Eigene Studien der BCI von 2020 hatten ein steigendes Risiko von Zwangsarbeit in Baumwollfarmen bestätigt. Auch chinesische Firmen sind Mitglied bei BCI. Der chinesische Sportartikelhersteller Anta trat aber nun demonstrativ aus der Initiative aus und betonte, auch weiterhin Baumwolle aus Xinjiang einzukaufen.
Boykotte in China haben aufgrund der großen Bedeutung dieses riesigen Marktes starke Auswirkungen auf betroffene Firmen. So schickte der Boykott die Aktie von Nike nach einem Bericht des US-Magazins Business Insider in den Sturzflug. Sie verlor allein bis Donnerstagmorgen fünf Prozent. Zuvor waren in Chinas sozialen Medien Videos zirkuliert, in denen Menschen demonstrativ „Air Jordan“-Schuhe der Marke verbrannten.
Nike ist ebenso wie Konkurrent Adidas eigentlich sehr populär in China. Im Geschäftsjahr 2020 machten China, Taiwan und Hongkong 19 Prozent des Umsatzes der Marke Nike aus. Auch die europäischen Firmen befinden sich laut der Europäischen Handelskammer in China (EUCCC) aufgrund der „wachsenden Politisierung des Geschäfts“ in der Volksrepublik in einer schwierigen Lage. Einzelfälle kommentiert die EUCCC aber nicht.
In Konfliktsituationen mit dem Ausland spricht die Propaganda der Kommunistischen Partei Chinas oft von „verletzten Gefühlen des chinesischen Volkes“. So auch jetzt: „Das chinesische Volk wird nicht zulassen, dass einige Ausländer Chinas Reis essen, während sie seine Schalen zertrümmern“, sagte etwa eine Sprecherin des Außenministeriums in Peking. Der chinesische Markt stehe ausländischen Unternehmen offen. „Aber wir wehren uns gegen böswillige Angriffe auf China, die auf Gerüchten und Lügen basieren und Chinas Interessen schaden.“
Immer wieder werden ausländische Firmen mit dem auf Basis des Arguments, sie hätten die „Gefühle der Chines:innen“ verletzt, zu Entschuldigungen gedrängt. So musste sich in etwa die US-Modekette Gap in China einmal dafür entschuldigen, eine „fehlerhafte“ Landkarte Chinas ohne Taiwan auf einem T-Shirt abgebildet zu haben. Meist enden Boykottaktionen im konsumfreudigen China so schnell, wie sie losgetreten werden. Doch man weiß es eben nie vorher.
Als Reaktion auf die EU-Sanktionen hatte China umgehend Vergeltungssanktionen gegen zehn Politiker, Wissenschaftler und Denkfabriken verhängt. Am Freitag folgten nun Gegen-Sanktionen gegen neun britische Individuen und Organisationen. Die von Peking sanktionierten Abgeordneten würden „eine wichtige Rolle dafür spielen, ein Licht auf die Menschenrechtsverletzungen gegen die muslimischen Uiguren zu werfen“, betonte Premierminister Boris Johnson auf Twitter seine Unterstützung für die Betroffenen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel pochte derweil trotz der Gemeinsamkeiten in der aktuellen Sanktionspolitik am Donnerstagabend nach dem EU-Gipfel auf „eine europäische China-Politik“. In dieser Frage werde es mit Washington „keine Identität“ geben, sagte die Kanzlerin. „Das ist vollkommen klar“. Bei dem Gipfel war erstmals US-Präsident Joe Biden zugeschaltet. Biden will in der China-Politik grundsätzlich an einem harten Kurs festhalten. Dies könnte gerade Länder wie Deutschland mit engen wirtschaftlichen Beziehungen zu China vor Probleme stellen. Bidens Regierung verurteilte am Freitag den Boykott. „Wir unterstützen Unternehmen, die dafür sorgen, dass die von uns konsumierten Produkte nicht durch Zwangsarbeit hergestellt wurden“, sagte am Freitag in Washington Außenamtssprecherin Jalina Porter.
Merkel betonte indes, es gehe "nicht nur um Wirtschaftsinteressen", sondern auch darum, dass "europäische Souveränität" gelebt werde. "Das heißt, wir haben mit den Vereinigten Staaten von Amerika natürlich ein gemeinsames Wertefundament (...), aber wir haben auf der anderen Seite auch jeweils unsere Interessen". Und so, wie die USA jüngst in Alaska Gespräche mit Vertretern Pekings geführt hätten, "werden auch wir mit China sprechen". (ck, mit dpa und AFP)