Hagen. Ein Basketballspiel wie ein Beatles-Konzert: In Kabinengeflüster erzählt „X“ Risse von seinem Spiel mit Jordan – und einem Duell gegen Nowitzki.
Ralf Risse lässt sich in einen weichen Loungesessel fallen und schaut nachdenklich durch den Raum. „Ich weiß gar nicht so genau, was ich euch erzählen soll“, sagt der 57-Jährige zu Yannick Opitz und Sören Fritze, den Initiatoren von „Kabinengeflüster“. Witzige, kuriose oder inspirierende Geschichten sind in dieser Serie Programm, aber Risse, der ehemalige Bundesliga- und Nationalspieler, gibt sich bescheiden. Doch als „X“, wie er genannt wird, ins Plaudern gerät, fällt einem die Kinnlade nach unten. Als einer von ganz wenigen Deutschen hat der 57-Jährige mit und gegen Michael Jordan gespielt. Dass „X“ sich damals auch noch mit Dirk Nowitzki duellierte, gerät da schon fast zur Nebensache. Vorhang auf für das Kabinengeflüster mit Ralf Risse.
In seiner letzten vollen Saison in Deutschland lief Dirk Nowitzki für seinen Heimatklub, den Zweitligisten DJK Würzburg auf. Es sprach sich herum, dass der lange, dünne Blondschopf NBA-Potenzial hat. Als Nowitzki 1996 ein Auswärtsspiel in Salzkotten bestritt, saß Henrik Dettmann im Publikum. Der damalige Nationaltrainer kam extra, um dem Megatalent zuzuschauen. Aber auch ein anderer wurfstarker Basketballer machte ein beeindruckendes Spiel: Ralf Risse, damals Guard des Salzkottener Zweitligisten, schenkte Würzburg und „Dirkules“ 30 Punkte ein. „Ich war damals noch recht fit und habe durchgespielt. Und Dirk war etwas faul, er stand in der Zone rum und ist nicht rausgekommen, wenn ich geworfen habe“, erinnert sich „X“ zurück. Aber, das räumt der Flügelspieler ein: Auch Dirk habe natürlich ein starkes Spiel gemacht, und die Würzburger gewannen die Partie.
Nowitzki war eine Art Basketballer, die zuvor noch niemand gesehen hat. Ein Prototyp. 2,13 Meter groß und dennoch schnell, agil und vor allem wurfgewaltig. „Er war so groß wie unser Center, aber der konnte ihn nicht verteidigen, weil er zu langsam war. Und über mich hat er aus dem Stand geworfen“, lacht der 1,95 Meter „kleine“ Ralf Risse.
Übrigens: Mit Nowitzkis Mentor und Trainer, dem legendären Holger Geschwindner, hat sich Risse ebenfalls duelliert. „Es ist witzig: Als ich ein Rookie war, habe ich gegen Holger gespielt. Und als ich dem Karriereende nah war, habe ich gegen seinen Zögling gespielt.“ Dabei war die Leistung Geschwindners gegen Risse noch eindrucksvoller. Man hatte den jungen Hagener damals vor dem „Alten“, der aus allen Lagen traf und mit 38 Jahren noch fit war, gewarnt. Aber Risse hörte nicht richtig hin. „Der hat mich mit 40 Punkten ganz schön abgewatscht“, grinst „X“.
Als sich die Frankfurter Basketballhalle am 28. August 1990 bis auf den letzten Platz füllte, waren die Zuschauer gespannt: Gibt es diesen Michael Jordan wirklich? Und läuft er tatsächlich für Steiner Bayreuth auf? Ja, und ja! Jordan war damals 27, in der Blüte seiner Karriere, und sein Sponsor Nike organisierte im Rahmen einer Werbetour in Europa zwei Einlagespiele in Frankfurt und Paris. Die hatten keinen sportlichen Wert, verzückten aber die Zuschauer. Weil Bayreuth damals Deutschlands einziges von Nike gesponsortes Team war, kamen die Bayern in den Genuss, „His Airness“ in ihren Reihen begrüßen zu dürfen.
„Kurz vor dem Spiel haben wir uns alle gefragt, ob er denn jetzt wirklich kommt“, erzählt „X“, der damals im Kader der Bayreuther stand und gegen eine Auswahl amerikanischer Basketballer antrat. Und dann erschien er. 15 kräftige, in schwarz gekleidete Bodyguards stellten sich zunächst demonstrativ an den Spielfeldrand. Safety First. „Wir dachten erst, das sei etwas überzogen. Aber nein, das war es nicht“, erinnert sich Risse. Reihenweise Zuschauer versuchten aufs Feld zu stürmen, nur um Jordan berühren zu können. Krankenwagen mussten anrücken, um in Ohnmacht gefallene Fans zu behandeln. „Es war surreal, wie bei einem Beatles-Konzert“, schüttelt Risse den Kopf. Und dann ging das Spiel los.
„X“ Risse spielte in der Freundschaftspartie gut und viel – und eine Szene wird er nie vergessen. Wie der junge Hagener über die rechte Seite lief, den Pass von Jordan annahm und von der Dreierlinie „das Ding reinwarf“. Ein Pass von Michael Jordan, das muss sich wie ein Lob von Cäsar angefühlt haben. Risse lief zurück in die Defense und gab Jordan ein High-Five. „Nice shot!“, sagte der NBA-Superstar der Chicago Bulls. „Nice pass!“, erwiderte „X“. Beide grinsten. Manchmal mussten sich die Spieler zwicken, um sicher zu gehen, dass sie nicht träumten. „Wir hatten alle die Nike-Schuhe mit dem Jordan-Logo drauf“, grinst Risse. „Und dann steht er, das Logo selbst, neben uns. Das war schon cool.“
„MJ“ spielte allerdings keine besonders gute erste Hälfte, er setzte viele Würfe auf den Ring. Jordan hatte keinen Rhythmus. Eigentlich sollte er auch nur die erste Hälfte spielen, aber als diese vorbei war, sagte er: „Scheiß drauf. Ich spiele weiter.“ In der zweiten Hälfte drehte Michael Jordan wie erwartet auf und führte sein Team zum Sieg. Mitspieler, Gegner und Fans waren verzaubert. Wie kann ein Spieler nur so gut sein? „Der ist so abgegangen. Er war wirklich nicht von diesem Planeten“, schwärmt Risse noch 31 Jahre später. Es sei vor allem Jordans Art der Bewegungen, seine dominante Physis und seine unglaubliche Sprungkraft gewesen, die ihn so auszeichneten. Risse steht aus seinem Sessel auf, fuchtelt mit den Händen und hüpft auf einem Bein: „Allein wie der einen Korbleger gemacht hat, sah fantastisch aus.“
Wie außergewöhnlich gut der wohl beste Basketballer aller Zeiten war, zeigte sich noch mehr im zweiten Einlagespiel in Paris. Diesmal spielte „X“ gegen Jordan, aber er musste „His Airness“ nicht verteidigen. Diese undankbare Aufgabe wurde Michael Curry aufgebürdet, einem US-Amerikaner, der 1990/91 für Bayreuth spielte und sich später in der NBA zu einem der besten Verteidiger der besten Liga hocharbeitete. Curry war schnell, athletisch, hatte lange Arme und Biss. „Curry war ein Kämpfer und gegen Jordan war er hochmotiviert“, erzählt „X“.
Curry versuchte alles gegen den Bulls-Star. Aber Jordan erzielte 59 Punkte. Neunundfünfzig. Curry musste sich doppelt ärgern, denn einerseits wurde er vorgeführt, andererseits applaudierten seine Bayreuther Mitspieler für Michael Jordan. „Was Jordan gemacht hat, war einfach unglaublich, wir mussten ihm zujubeln“, erinnert sich Risse und fügt schmunzelnd an: „Curry war so sauer. Der wollte kein Wort mehr mit uns reden.“
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