Ein Polizist schildert in einer Sprachnachricht die Ausschreitungen in Stuttgart. Der Mann scheint fassungslos, äußert sich auch rassistisch. Nun droht ein Gespräch mit dem Polizeipräsidenten.
Anmerkung der Redaktion, 25.6.2020: Als der Artikel am 22.6.2020 erschien, war noch unklar, ob es sich bei dem Urheber der Aufnahme tatsächlich um einen Polizisten handelt. Mittlerweile hat die Polizei Stuttgart den Beamten identifiziert. t-online.de hat den Artikel deswegen aktualisiert.
Es wirkt wie die Nachricht eines erfahrenen Polizisten, den ein Einsatz deutlich erschüttert: In sozialen Medien kursiert die Audio-Botschaft eines Stuttgarter Polizeibeamten aus der Nacht der Ausschreitungen. Es herrsche "Krieg", wer Uniform trage, sei "nur Opfer". Es sei ein Wunder, "dass keiner erschossen worden ist". Der Mann scheint konsterniert: "Das macht mich wirklich fassungslos." Die Polizeiführung sei "hilflos". Im Verlauf des Mitschnitts äußert er sich auch rassistisch.
Die Polizei Stuttgart hat den Beamten wenige Tage nach der Veröffentlichung anhand seiner Stimme identifiziert. Der Mann habe zugegeben die Aufnahme angefertigt und sie per WhatsApp einem kleinen privaten Verteilerkreis zugeschickt zu haben, sagte Stefan Keilbach, der Pressesprecher des Polizeipräsidiums Stuttgart, t-online.de.
Von dort sei die Nachricht dann wohl ohne sein Wissen weitergeleitet worden. Es werde derzeit geprüft, ob es straf- oder dienstrechtliche Konsequenzen gebe, sagte Keilbach. Voraussichtlich sei das eher nicht der Fall, da strafbares Verhalten vermutlich nicht vorliege und die Äußerungen im privaten Kreis gefallen seien. Aber: Die Äußerungen des Mannes entsprächen nicht dem Sprachgebrauch der Polizei Stuttgart, man pflege ein anderes Leitbild. "Der Beamte wird sich auf ein Gespräch mit dem Polizeipräsidenten einstellen müssen."
Die Polizei Stuttgart hatte t-online.de einige Tage zuvor zunächst nur bestätigt, dass sie Kenntnis von der Aufnahme hat. Die Behörde gehe dem nach, habe sie aber bislang nicht verifiziert. t-online.de hatte trotzdem über das Audio berichtet, da es in sozialen Medien viele Menschen erreicht. Zuerst verbreitete sich der Mitschnitt durch QAnon- und andere rechten Chat-Gruppen. t-online.de hatte deswegen dargestellt, was für und was gegen die Echtheit der Aufnahme spricht.
Die Aufnahme klingt, als könnte sie für Freunde, Bekannte oder Familie gedacht sein. Er habe das jetzt loswerden müssen, heißt es in dem Tondokument. Die Aufnahme endet mit: "bis morgen oder bis nachher". Der Verfasser hat einen deutlichen schwäbischen Dialekt und nutzt zum Teil bei der Polizei übliches Vokabular. Im Hintergrund der Aufnahme schien undeutlich Polizeifunk zu hören zu sein.
Das musste aber nicht heißen, dass tatsächlich ein Polizist die Aufnahme angefertigt hat. Denkbar war auch, dass mit solchen Hintergrundgeräuschen der Aufnahme Authentizität verliehen werden sollte. Aus Polizeikreisen hieß es, der Funkverkehr sei für eine derart aufgewühlte Lage verhältnismäßig ruhig. In der Aufzeichnung behauptet der Mann jedoch, dass sich der Funk überschlage.
Die Schilderungen zum Verlauf des Krawalls decken sich in Teilen mit dem Einsatzgeschehen, wie auch die Polizei Stuttgart es darstellt. "Jetzt haben wir 1.55 Uhr: Teile der Innenstadt – Königstraße, Rotebühlplatz – sind entglast. Die Kollegen sind massiv mit Steinen, Flaschen beworfen worden." Streifenwagen seien beschädigt worden. Aus den umliegenden Polizeipräsidien sei "alles da".
Die Aufnahme, die seit Sonntag Kreise zieht: Sie hört sich an, als würde ein Polizist mitten aus dem Einsatzgeschehen der Randalenacht in Stuttgart berichten. Die Polizei kann noch nicht sagen, ob sie von einem Beamten stammt. (Quelle: Screenshot)
Andere Schilderungen stimmten hingegen nicht mit dem tatsächlichen Verlauf der Ereignisse überein und ließen Zweifel daran aufkommen, ob der Mann in der Nacht der Randale als Polizist im Einsatz war.
Erstens: Der Verfasser der Sprachaufnahme sagt, das erste Polizeirevier sei "angegangen" worden. Das Polizeirevier 1 liegt in dem Teil der Stadt, in dem die Randalierer unterwegs waren. Die Polizei Stuttgart kann aber einen Angriff auf irgendein Revier nicht bestätigen. Wahrscheinlich hat er also nicht stattgefunden.
Zweitens: Der Mann berichtet zwei Mal, um 1.56 Uhr sei die "Landesreserve aktiviert" worden. Der Begriff "Landesreserve" ist bei der Polizei in Baden-Württemberg allerdings sehr unüblich. Es handelt sich eher um einen Begriff aus der Bundeswehr. Bei der Polizei wäre vielmehr von "Verstärkung" die Rede oder im Falle einer Hundertschaft von "Bereitschaftspolizei" (BePo). Und auch wenn der Begriff nur salopp gebraucht worden sein sollte, sind die Angaben des Audio-Verfassers nicht korrekt.
Die angebliche "Landesreserve" komme "vom Bodensee oder was, keine Ahnung", sagt der Mann. Das ist falsch. Zwar hat das Polizeipräsidium Einsatz – das einer angeblichen "Landesreserve" am nächsten käme, da es die Regionalpräsidien unter anderem mit Bereitschaftspolizei unterstützt – einen taktischen Einsatzzug am Bodensee. Dieser war aber laut Auskunft des Präsidiums in der fraglichen Nacht nicht im Einsatz. Vielmehr wurden Beamte vom Standort Göppingen nach Stuttgart beordert.
t-online.de hatte deswegen dargestellt, dass die Falschinformationen der unübersichtlichen Lage in der Einsatznacht geschuldet seien könnten. Es allerdings auch möglich sei, dass der Verfasser der Sprachnachricht nicht als Polizist im Einsatz war.
Den Recherchen zufolge wurde die Aufnahme seit dem frühen Sonntagnachmittag größer verbreitet. Erste Aufnahmen zeigen für die Speicherung einen Versand über einen Messengerdienst um 13.23 Uhr. Diese Angabe muss aber nicht zutreffen. Auf YouTube wurde es spätestens um 16.26 Uhr hochgeladen. Seither gibt es diverse Varianten, zum Teil leicht gekürzt, mit Videoaufnahmen der Nacht unterlegt oder mit unkenntlich gemachtem Funkverkehr.
Eine kurze Bemerkung in der Aufnahme führte dazu, dass die Aufzeichnung sowohl in rechten wie auch in linken Gruppen geteilt wurde: Der Polizist benutzt ein rassistisches Schimpfwort, sagt sinngemäß, bei den Tätern handele sich nur um Ausländer. Tatsächlich aber hatten unter den zunächst 24 Festgenommenen zwölf Personen die deutsche Staatsangehörigkeit, wie der Vize-Präsident der Stuttgarter Polizei, Thomas Berger, sagte. Davon hätten drei einen Migrationshintergrund. Die Hälfte aller Festgenommen waren Jugendliche bis 21 Jahre.
In rechten Kreisen war die Aussage über Ausländer eine Bestätigung für Vorurteile. In linken Kreisen löste Empörung aus, dass ein mutmaßlicher Polizist sich mit der Wortwahl äußerte.
Verwendete Quellen: