Seit Montag gilt in Hessen die 2G-Regel im Einzelhandel nicht mehr, der potenzielle Kundenkreis ist damit wieder größer geworden. Eine kleine Umfrage in Licher Bekleidungsläden zeigt jedoch, dass Umsätze und Kauflust nach wie vor verhalten bleiben, wobei es Unterschiede gibt.
Es ist eine merkwürdige Situation: Die Inzidenzwerte galoppieren auch im Kreis Gießen in schwindelerregende Höhen. Gleichzeitig liegen - auch angesichts oft milder Krankheitsverläufe bei der Omikron-Variante - Lockerungen der Corona-Schutzmaßnahmen in der Luft. Manche Bundesländer gehen bereits konkrete Schritte: So gilt seit Montag im Einzelhandel in Hessen nicht mehr die 2G-Regel. Auch Menschen ohne Impfung dürfen wieder Kleidung, Schuhe und mehr vor Ort einkaufen. Für Ladeninhaber entfällt die Zutrittskontrolle, dafür sind nun FFP2-Masken Pflicht.
Von erleichtertem Aufatmen im Einzelhandel kann allerdings kaum die Rede sein, auch wenn - wie eine kleine Umfrage in Lich zeigt - manche Läden seit Anfang der Woche ein Umsatzplus verzeichnen. »Ein bisschen Veränderung habe ich gemerkt«, blickt Sabine Metz-Palenga auf die ersten Tage ohne 2G zurück. Doch gegenüber den Einbußen, die die Einführung der Regel in Hessen im Dezember gebracht habe, sei das »ein Tropfen auf den heißen Stein«, so die Tochter der Inhaberin von »Mode-Team Metz« in der Licher Innenstadt.
Einzelhandel ohne 2G: Wenig Betrieb in Licher Innenstadt
Sie lässt den Blick durch das gerade menschenleere Geschäft schweifen - »aber mit 2G war es noch schlimmer, da hat man ab dem ersten Tag gemerkt, dass viel weniger Kunden kommen«. Ohnehin sei der Jahresbeginn in der Bekleidungsbranche eine umsatzschwache Zeit. Diesmal erst recht. Die Winterkleidung ist gekauft, für Sommermode ist es noch zu früh. »Der Januar war super schlecht - und bis jetzt auch der Februar«, sagt Metz-Palenga, »uns fehlen bestimmt 40 Prozent Umsatz«.
Durch das Schaufenster zeigt sie in Richtung der Licher Fußgängerzone. Kaum jemand ist unterwegs. Dass der große Ansturm ausbleibt, wundert sie nicht. »Die Leute haben einfach Angst, halten sich zurück.« Und das habe nicht nur mit der Furcht vor Ansteckung zu tun. »Das Geld sitzt einfach nicht so locker«, sagt sie und erwähnt unter anderem die massiven Anstiege der Energiepreise.
Nicht nur für Kunden, sondern auch für Ladenbetreiber ist es eine Zeit der Vorsicht. »Man hat schon weniger eingekauft, da war auch die Angst: Kommt noch mal ein Lockdown, eine neue Variante?« Wie auch manch andere Gewerbetreibende hat Metz-Palenga die Öffnungszeiten nun etwas reduziert. Auch die Personalplanung ist zurzeit gerade in kleinen Läden nicht einfach - etwa, weil wegen Quarantänefällen bei Kita- und Schulkindern berufstätige Eltern sich um die Betreuung kümmern müssen.
Metz-Palenga hofft, dass der Frühling möglichst bald kommt, und mit ihm vielleicht auch etwas mehr Shoppinglaune. »Immerhin läuft es besser als vor einem Jahr - da hatten wir zu«, scherzt sie. »Man versucht es mit Humor zu nehmen.«
Einzelhandel ohne 2G: »Saure-Gurken-Zeit«
Wenige Meter entfernt ist auch Andrea Wiedemann-Schumacher in ihrem Schuhhaus »Per Pedes« kurz vor Mittag gerade allein. »Die Leute sind ängstlich, gehen weniger raus«, hatte sie sich im Gespräch mit der GAZ im November 2020 geäußert - damals im Fahrwasser der Gastro-Schließungen, die auch den Einzelhandel teils hart getroffen hatten. Und nun? »Jetzt ist sowieso Saure-Gurken-Zeit«, sagt Wiedemann-Schumacher. Von mehr Kundschaft durch das Ende von 2G spüre sie bislang nichts, »die Frequenz ist schleppend - und zurzeit ganz schlecht«. Die Umsätze hätten sich längst nicht normalisiert, von der Zeit vor Corona sei man noch weit entfernt. Das zeige sich auch mehr und mehr in der Innenstadt. »Sie sehen ja, wie viele zugemacht haben in Lich.«
Große Sorgen bereitet ihr nach wie vor die Online-Konkurrenz. Inzwischen seien auch viele Senioren dazu übergegangen, Schuhe im Internet zu bestellen, statt vor Ort zu kaufen. »Ich glaube, das wird bleiben, da geht der Trend hin«, befürchtet Wiedemann-Schumacher. Viele Waren würden dann aber, teils unausgepackt, zurückgeschickt, »da denkt keiner an die Öko-Bilanz«. Für sie sei ein Online-Vertrieb keine Option: »Wenn du gefunden werden willst, musst du richtig Geld in die Hand nehmen. Bei Rückgabe-Quoten von teils über 50 Prozent lohnt sich das für mich nicht.«
Wie wohl viele Menschen habe auch sie kürzlich der Corona-Blues erwischt, erzählt Wiedemann-Schumacher: »Ich hatte im Januar einen totalen Durchhänger; dachte, du machst hier ja nur Minus!« Nach ein paar Tagen Wandern gehe es ihr nun wieder viel besser. Hoffnung setzt sie auf die kommenden Tage, dann will sie die Preise in großem Stil reduzieren. »Ich bin gespannt!«
Einzelhandel ohne 2G: Unterschiedliche Eindrücke
So verschieden die Sortimente sind, so sehr unterscheiden sich auch die aktuellen Eindrücke von Geschäft zu Geschäft. An anderer Stelle in der Füßgängerzone berichtet Violetta Siwy von merklich mehr Kunden seit Montag. Sie vertreibt in ihrer Boutique »My Way« Damenbekleidung. »Es wird etwas normaler«, sagt sie. Auch Siwy kann mehr Umsatz dringend gebrauchen: Im Vergleich zu einem »normalen« Dezember und Januar habe sie nun geschätzte 60 Prozent weniger Umsatz gemacht, führt das vor allem auch auf die 2G-Einführung zurück.
Siwy wirkt erleichtert, dass nun die Kontrollen von Kundinnen auf deren Impf- oder Genesenenstatus entfallen. »Da kam ich mir schon ein bisschen blöd vor - wie Polizei«, sagt sie und betont, wie auch andere Inhaberinnen, dass die Kundschaft sich schnell daran gewöhnt und vorbildlich mitgemacht habe.
Auch für ihr Geschäft sei die Lage zwischenzeitlich existenzbedrohlich gewesen. Die Boutique-Chefin ist vorsichtig optimistisch, dass sich die Umsätze nun, ohne 2G-Beschränkung, allmählich stabilisieren, »wir müssen abwarten«. Allerdings sei für Bekleidungsgeschäfte die Situation noch immer schwierig. Gerade Frauen, so Siwys Ansicht, kauften gern mal was Neues zum Anziehen, wenn sie ausgehen. Doch zuletzt seien Weihnachtsfeiern ausgefallen. Hochzeiten finden nach wie vor oft in kleinem Kreis statt, auch Fasching fällt wohl weitgehend flach. Viele, sagt Siwy, wollten zurzeit auch nicht ins Restaurant gehen, bestellten lieber nach Hause. »Klamotten verbindet man mit Ausgehen« - und dazu mangle es an Anlässen.
Während viele von anhaltender Vorsicht, teils Verängstigung, und mangelnder Einkaufslust der Kundschaft berichten, sind vereinzelt auch Klagen über den Corona-Kurs der Politik zu hören. »Auf jeden Fall sollen die sich mal entscheiden, was sie wollen - es ist ätzend!«, echauffiert sich eine Verkäuferin in einem Licher Bekleidungsgeschäft. Ständig müsse sie sich neue Regeln anlesen. Manche Kunden stiegen da allmählich nicht mehr durch.