von Sandra Beck
In meiner persönlichen Filmbiographie hat Die Hard einen eigenen Platz. Einerseits ist das historische Datum meiner Erstrezeption mit Weihnachten verbunden. Denn das erste Mal habe ich die Schweinebackerei und den Hohoho-Showdown zwischen John McClane (Bruce Willis) und Hans Gruber (Alan Rickman) als Stirb langsam irgendwann in den 90er Jahren gesehen, als ich mich – ebenfalls zum ersten Mal – geweigert habe, nach dem Kindergottesdienst auch noch die Christmette im Dom zu besuchen. Blut, Gewalt, Fluchen und seltsames Deutsch on screen, Krippe, Christbaum, ausgepackte Geschenke schräg rechts neben den Fernseher. Andererseits markiert das Sehen des Filmes ein Gegenkonzept zu einem Weihnachten, dessen familiär verordneten Rituale und Zeremonien wesentlich durch die Gottesdienst-Besuche getaktet wurden. Anders formuliert: Bedingung dafür, den Film zu sehen, war der kurzzeitige Austritt aus dem Familienverbund, denn alle anderen sind in die Kirche gegangen.
Die Frage, ob Die Hard als Weihnachtsfilm zu begreifen ist, flackert vor den Festtagen immer wieder auf. Insbesondere im englischsprachigen Raum scheint die Diskussion als habitueller running gag selbst Teil des countdowns to Christmas zu sein. So findet sich etwa eine Aufschlüsselung der Lieblingsweihnachtsfilme nach US-Bundesstaaten, die auf Daten der Filmbewertungsseite Rotten Tomatoes zurückgreift. Hier führt Die Hard in Washington, Missouri, Wisconsin und Virginia. Demgegenüber sind sich in einer im Jahr 2018 durchgeführten Umfrage 62% der Befragten einig, dass Die Hard kein Weihnachtsfilm ist. Bruce Willis erklärte im selben Jahr kategorisch: „Die Hard is not a Christmas movie! It’s a goddamn Bruce Willis movie!“
Im Rückblick auf die erfolgreiche Etablierung von ‚Bruce Willis‘ als Verkörperung einer spezifischen Action-Brand ist diese Einordnung freilich nicht von der Hand zu weisen, befriedigt aber nur bedingt, da beide Genrebestimmungen beileibe nicht als trennscharf gelten können. Steven de Souza hingegen, zusammen mit Jeb Stuart für das Drehbuch verantwortlich, unterstützt seine Position pro Christmas Movie mit einem längeren Vergleich zwischen Die Hard und White Christmas (1954), vermeintlich dem Weihnachtsfilm schlechthin. Seine Gegenüberstellung behauptet nicht nur Vergleichbarkeit, sondern präsentiert Die Hard sogar als Gewinner des Duells – sowohl unter quantitativen Gesichtspunkten wie der schlichten Anzahl der Weihnachtslieder im Soundtrack, als auch im Blick auf die klassischen Topoi.
Denn fragt man nach dem dargestellten selbstlosen Opfer, so sticht John McClanes Körper im Schmerz die mildtätige Handlung in White Christmas, für den upgrade eines Zugtickets zu sorgen, fraglos aus. Konzentriert man sich auf die moralische Botschaft, so gewinnt Die Hard auch im Vergleich mit einem modernen Klassiker des Weihnachtsfilm-Genres: “In Zeiten, in denen die Verklärung von abstoßendem und herabwürdigendem Verhalten in Tatsächlich…Liebe als Material für einen beliebten Weihnachtsklassiker gilt, wähle ich ohne zu zögern die moralische Klarheit eines John McClanes und seiner treuen Maschinenpistole.”
Sieht man beim Versuch einer Zuordnung von Befragungen eines US-amerikanischen Publikums und den rückblickenden, scherzhaften Aussagen der Mitwirkenden ab, gelangt man zu dem Befund, dass Weihnachtsfilme und das Action-Kino je nach Perspektive durchaus ähnlichen Spielregeln folgen. In den sozialen Medien wurde dieser Punkt bereits debattiert:
Die Forschung hingegen hat sich bisher kaum um Die Hard als Christmas Movie bekümmert. Ihr Schwerpunkt liegt vielmehr auf der Frage nach der inszenierten Männlichkeit vor dem Hintergrund der Reagan-Ära. Und die Ergebnisse sind eindeutig: Gefeiert werde hypermaskuline weiße Männlichkeit mit Witz – “ein einzelner echter Mann […] gegen eine Meute von falschen Anwärtern auf die Krone der Männlichkeit”[1] Als illegitime Bewerber erscheinen in Die Hard nicht nur die Bande internationaler Geiselnehmer, die John McClane gezwungenermaßen im Alleingang besiegt, sondern ebenso die als Bedrohung der Familie inszenierte feministische Emanzipation, die überheblichen Businessmen und der globale ‚Andere‘.
Wir beobachten also einen gut definierten, vor sich hin frotzelnden Körper in der Auseinandersetzung mit Emanzipation, Globalisierung, Terrorismus und dem Versagen des Staates. Nach Elizabeth Abele erscheint John McClane nur als „ein weiterer Mann, der durch seine Pflicht von seiner Familie getrennt wurde, der jedoch die Kraft, den machohaften Stoizismus und die aufopferungsvolle Standhaftigkeit besitzt, um im Alleingang zur Rettung zu schreiten.“ [2]
Mit dieser Umkehrung von agency, die nicht Holly McClanes Entscheidung, für ihre Karriere nach Los Angeles zu ziehen in das Zentrum rückt, sondern die Entscheidung John McClanes, in New York weiter Cop zu sein, lässt sich eine Lektüre des Filmes beginnen, die Die Hard als Weihnachtsedition des (Cop) Action Film-Genres liest. Der Film erscheint dann als fröhliche und ironisch selbstreflexive Genreaktualisierung mit der besonderen Pointe, dass man im großmütigen Christmas Spirit allen männlichen Figuren ihren größten Wunsch zu erfüllen scheint. So berufen sich etwa ‚die Bösen‘ um Hans Gruber wiederholt in ihren rebellischen Weihnachtsplänen auf das Versprechen eines Wunders:
HANS Es ist Weihnachten. Genau die richtige Zeit für Wunder. Also sei optimistisch.
Ausgefochten wird diese widerstreitende Geschenk- und Wunschanordnung zwischen den echten Weihnachtshelden und den anti-festlichen Verbrechern und ihrem falschen Weihnachtsgedanken auf dem leidenden, gehetzten und schmerzenden, aber auch ironisch über sich selbst spöttelnden Körper John McClanes. Und dieser Körper im Schmerz demonstriert überlegene weiße Männlichkeit auf dem ins Vertikale gezogenen Schlachtfeld des Nakatomi Tower als urbaner Grenze.
Eingeführt wird dieser Körper als verheiratet und von Flugangst verkrampft. Angesprochen wird er von seinem Sitznachbar, der im Skript als „Babbitt clone“ vorgestellt wird, „ozz[ing with] confidence“:
SITZNACHBAR Sie haben Angst vorm Fliegen, nicht wahr? […] Ich werd’ Ihnen mal ‘nen guten Tipp geben, wie man die Flugangst überwindet. Wenn Sie gelandet sind, wo Sie hin wollten, dann ziehen Sie Ihre Schuhe aus und Ihre Socken und hüpfen locker die Gangway runter, und zwar barfuß.Dabei ballen Sie Ihre Zehen zusammen wie Fäuste.
JOHN Meine Zehen wie Fäuste?
SITZNACHBAR Ja, ich weiß, ich weiß, das klingt verrückt. Aber glauben Sie mir, ich mach’ das schon seit neun Jahren.
Nach der Landung in Los Angeles wird dieser verkrampfte, verheiratete Körper zu einem Körper im kariertem Hemd mit Waffe, der irritiert-wohlwollend auf die Flirtbemühungen der Flugbegleiterin reagiert. Angesichts des verschreckten Blicks des Geschäftsmannes auf McClanes Beretta folgt die trockene Replik:
JOHN Ist schon ok, ich bin ‘n Bulle. Glauben Sie mir, ich mach den Job schon seit elf Jahren.
Dieses kurze Gespräch ist aufschlussreich und gibt mehrere Konfliktlinien vor: die Spannung zwischen verkrampftem Körper und lockerem Spruch, aber auch den Kontrast zwischen der arroganten Überheblichkeit des Vielfliegers im Zeichen von big corporate, der bisher allenfalls Zehen auf flauschigen Teppichen ballen musste, und dem bescheidenen down to earth Durchschnittstypen mit einem Alltag von Gewalt, der wieder und wieder als Polizist aus New York adressiert wird. So auch im Gespräch mit Mr Takagi, dem Vorgesetzten seiner Ehefrau, und ihrem Kollegen Ellis, den er beim Koksen in ihrem Büro überrascht. Für einen Weihnachtsfilm entwickelt Die Hard in den Eröffnungssequenzen also eine durchaus idealtypische Konstellation: corporate greed im globalen Maßstab gegen den ‚kleinen Mann‘. Prominent eingeführt sind aber mit der Unterhaltung im Flugzeug zugleich Techniken des Überlebens. Die geballten Zehen mögen eine gute Strategie sein, um Jetlag zu ‚überleben‘ – im Kampf gegen eine Bande von Kriminellen sind nackte Zehen doch ein schmerzhafter Nachteil.
Paul Cohen liest diese Zehen-Szene als Verhandlung von Männlichkeit und resümiert: “Der wahre Mann kann seine Hände zu echten Fäusten Faust ballen. Der falsche Mann – als würde das Prinzip auf den Kopf gestellt – kann nur mit seinen Zehen eine Faust formen.”[3] Allerdings gerät hier aus dem Blick, dass die Befolgung des Ratschlags ein integraler Bestandteil der für den Film konstitutiven Szenen von John McClane im Bade ist. Davon gibt es im Film zwei. Die erste spielt direkt nach seiner Ankunft im Nakatomi Building und wird durch folgenden Dialog eingeleitet:
TAKAGI Sie (im Blick auf Holly McClane) ist für unser Geschäft wie geschaffen. Hart wie ein Felsen. […]
ELLIS Zeig ihm die Uhr. .
HOLLY Das hat Zeit.
ELLIS Na los, mach’ schon. Das muss dir doch nicht peinlich sein. Nur eine kleine Anerkennung für die erfolgreiche Arbeit. Natürlich ‘ne Rolex.
JOHN Ich werd’ sie noch früh genug sehen. Kann ich mich hier irgendwo mal frisch machen?
Auf das Gesprächsthema – das Lob für die gute Arbeit seiner Frau und die erzwungene symbolische Zurschaustellung ihres beruflichen Erfolges – reagiert John brüsk mit einer Re-Fokussierung der Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse seines Körpers. Diese Selbstverständlichkeit, mit der in einem professionellen Setting die Kommunikation unvermittelt auf Körper und Körperpflege des Ehemannes gelenkt wird, ist hochgradig irritierend. Man könnte schließlich erwarten, dass er bei der Weihnachtsfeier angemessen gekleidet erscheint und zumindest etwas Deo aufgelegt hat. Sicherlich wird so auch ausgestellt, wie fremd John McClane in dieser Umgebung ist. Zugleich führt die Szene aber in das Zentrum der verhandelten Diskurse und bereitet parallel das folgende Action-Spektakel vor, indem derer öffentliche Raum von Hollys Arbeitsplatz zurückgezwungen wird in eine Privatheit, deren zentrales Thema die Anteilnahme an Johns Körper ist. Genrereflexiv mag man darin auch die Andeutung einer anderen Variante von kämpferischer Männlichkeit sehen – McClanes Begehren „to wash himself up“ im Gegenschnitt zu Rambos Widerstand gegen das oktroyierte „clean him up“.
Inszeniert wird zudem die Trope Coming Home for Christmas in der Spannung zwischen Anspruch und Wirklichkeit: John wird am Flughafen eben nicht von seiner Familie erwartet, sondern von einem Abgesandten des Unternehmens. Die hier enttäuschte Erwartungshaltung von Weihnachts-Codes wird dann in der Semi-Privatheit eines ans Büro angeschlossenen Badezimmers ausgesprochen.
HOLLY Du hast mir sehr gefehlt.
HOLLY Das ist eine japanische Firma. Die glauben, dass eine verheiratete Frau …
JOHN Du bist aber eine verheiratete Frau, Holly. Du bist verheiratet mit mir. […] HOLLY Die Diskussion hatten wir schon im Juli.
JOHN Aber im Juli haben wir sie nicht bis zum Ende geführt.
HOLLY Das war eine einmalige Chance. Da konnte ich nicht nein sagen. .
JOHN Nein, natürlich. Ohne Rücksicht auf irgendwelche Konsequenzen. Für dich war doch dieser Job das Wichtigste. […] Ich glaube kaum, dass du eine Ahnung davon hast, wie ich mir eine Ehe vorstelle.
HOLLY Ich weiß ganz genau, wie du dir eine Ehe mit mir vorstellst.
Auch wenn der Beobachtung von Yvonne Tasker: “Amerikanische Actionfilme arbeiten hartund oftmals auf Kosten stringenter Handlungsentwicklung daran, Momente einzufädeln, in denen der Körper des Helden zur Schau gestellt werden kann.”[4] nicht grundsätzlich zu widersprechen ist, im Falle von Die Hard sieht es doch anders aus. Dass John sich vor dem Streit entkleidet, kehrt die im Gespräch dargestellte Machtkonstellation um; die entworfene Szenerie ruft nunmehr die Vorstellung vom nach Hause zurückkehrenden Ehemann auf, der sich erschöpft von der Arbeit die Mühsal des Tages vom Körper wäscht und mit seiner Frau über ihren Tag plaudert. Die sich dabei entwickelnde Diskussion weist die Machtposition allerdings Holly, der Ehefrau, zu. Im Fokus steht ihre Priorisierung der eigenen Karriere gegenüber den Vorstellungen von Ehe, denen ihr Gatte anhängt. Die Rückkehr zu ihrem Mädchennamen im beruflichen Kontext und die Ausstattung ihres Körpers mit corporate codes sind genau die Zeichen einer Zerrüttung der Familie, die im weiteren Verlauf des Films getilgt werden. Aber so weit sind wir noch nicht.
Denn zunächst einmal wird das Gespräch des Paares unterbrochen, John bleibt allein im Badezimmer zurück – und bedenkt durchaus selbstkritisch das Scheitern seiner Kommunikationsbemühungen: „That was great, John. Good job, very mature.“ Visuell gibt dieser Monolog dem Film die Möglichkeit, den männlichen Körper als verletzbar und unverletzt zu präsentieren. Denn die emotionale Enttäuschung kontrastiert mit einer heilen Physis. Die Positionierung vor dem Spiegel stellt sicher, dass wir diesen Körper als kraftvoll und rundum unverletzt sehen und Augenzeugen werden, wenn dieser die Zehen in den Badezimmerteppich krallt und dies mit einem wohlig-überraschten „Son of a Bitch“ kommentiert.
Dass sich dieses Verhältnis umkehren wird, steht an dieser Stelle bereits zu vermuten, haben wir doch längst Szenen gesehen, die zeigen, wie sich unbekannte Kriminelle nähern, in einer konzertierten Aktion einen Sicherheitsmann töten und das Gebäude von der Außenwelt abriegeln. Mit dem halbnackt im Bade vor dem terroristischen Überfall verborgenen John McClane ist nun ein zweifelsfreier Genrewechsel zum Action-Film vollzogen, der die Option zu Bewährung und Erlösung beinhaltet und dafür den Körper im Schmerz fordert. Vergleichbar hat dies bereits Philippa Gates hervorgehoben:
Um Hollys Liebe zurückzugewinnen, muss McClane zuerst sowohl seine Männlichkeit als auch sein Heldentum beweisen, indem er die Schurken besiegt, die Holly bedrohen. McClanes Körper ist die Fläche, auf der sein Kampf im doppelten Sinne zunächst durch Zurschaustellung der nackten und durchtrainierten Physis gezeigt wird, später durch die sichtbaren Wunden, Narben und Verletzungen im Kampf gegen die Bösen.[5]
Diese These lässt sich am Beispiel der nackten Zehen in einem beiläufigen Bild-Arrangement exemplarisch verdeutlichen. Denn dem ersten Terroristen, den John mehr zufällig erledigt, werden die Schuhe ausgezogen, allein sie passen unserem Helden nicht. Der kommentiert: „Neun Millionen Terroristen gibt es auf der Welt. Und ich gerate an einen, der kleinere Füße hat als meine Schwester.“ Wise-cracking im Namen der eigenen Männlichkeit. In Betrachtung der zweiten Badezimmerszene lässt sich diese Lesart aber weiter präzisieren.
Bis dahin hat sich das Setting vollständig verändert. Im Zentrum steht nun nicht mehr die Empörung über die anti-familiäre Champagnerfeier der fremden Firma, auf der gleichzeitig ein wichtiger Deal und Weihnachten gefeiert werden, sondern Erschöpfung und Versehrung eines Körpers. Der eingangs im Spiegel gezeigte saubere und unverletzte Körper ist zu Fleisch geworden, er hat im Kampf gegen die Geiselnehmer schwer gelitten; John zweifelt am eigenen Überleben. Das ehemals blütenweiße Feinrippunterhemd – Signatur einer proletarischen Underdog-Besetzung – ist von Blut und Schweiß durchtränkt, die Fußsohlen sind in einem Scherbenmeer zerfetzt worden. In einer über Funkgerät etablierten bromance mit dem Streifenpolizisten Al Powell resümiert McClane dann auch seinen Erkenntnisprozess im Blick auf sein Privatleben:
Hör zu, ich weiß nicht, wie viel Zeit mir noch bleibt … Und ich möchte, dass du mir ‘nen Gefallen tust. Du musst meine Frau finden … […] Ich möchte, dass sie eins erfährt. Du musst ihr sagen, dass … dass es ‘ne Weile gedauert hat, bis mir klar war, dass ich ein Idiot bin. Ein Vollidiot. … Als sie auf einmal die große Karriere machte, hätte ich … zu ihr halten müssen. Und … zu ihr halten. Verstehst du? Das wäre richtig gewesen. […] Sag ihr, dass … dass sie das Beste war was so einem wie mir über den Weg laufen konnte. Ich hab’ ihr mindestens tausendmal gesagt, dass ich sie liebe. Aber ich konnte ihr niemals sagen: Es tut mir leid. Und ich möchte, dass du es ihr sagst, Al. Du musst ihr sagen: John hat gesagt, dass es ihm leid tut. […] Hast du verstanden? Ist alles klar, Mann?
Da dieses Bekenntnis als letzte Worte zwischen Waffenbrüdern gesprochen wird, überraschen weder Auftrag noch Inhalt. Offenbleiben muss allerdings, wann genau McClane Zeit hatte, über seine Vorstellungen von Ehe und sein Verhältnis zu Feminismus und weiblichem Erfolg im Beruf nachzudenken. Ruft man sich jedoch die erste Szene im Bade ins Gedächtnis, wird dies plausibel. Der ursprüngliche hard body erscheint als verblutender Körper im Schmerz, der kaum mehr bewegungs- oder widerstandsfähig ist. Selbst wenn Al oder wir dies nicht aushalten würden, seine Botschaft können wir weitertragen. Bezeichnend ist aber, dass diese aufgetragene Entschuldigung – übrigens kein Eingeständnis, falsch gehandelt zu haben – auch falsch adressiert bleibt. Denn funktionalisiert ist die Szene als Moment des male bonding, die ursprüngliche Gesprächspartnerin wird durch den zweiten Cop ersetzt. Und die Bildsprache des Films stellt sicher, dass die in ihr ausgesagte Korrektur der Geschlechterrollen deutlich überschrieben wird.
Denn zum einen muss für den endgültigen Fall von Hans Gruber die Rolex von Hollys Handgelenk gelöst werden. Erst nachdem das männlich codierte Zeichen ihres beruflichen Erfolges und ihrer Attraktivität für andere Männer von ihrem Körper abgestreift ist, kann das Böse besiegt, die damsel in distress gerettet werden. Zum anderen ist filmsprachlich das zentrale Happy End nicht die Wiedervereinigung von John und Holly.
Natürlich sind am Ende des Films John und Holly im obligatorischen Filmkuß versöhnt, aber Glaube, Liebe, Hoffnung und den traditionellen Christmas Spirit heftet der Film vielleicht am deutlichsten an die Beziehung zwischenAl Powell und John McClane. Powells unerschütterliche Loyalität und sein unbedingter Glaube an McClane beruhen auf dem medial vermittelten Erkennen des Anderen als echter Cop. Während sich die beiden Polizisten off und on duty, aus New York und in Los Angeles am Ende innig umarmen, richtet Al an Holly nur die Mahnung, ihren Mann so wertzuschätzen, wie es ihm gebührt: „Sie haben einen tapferen Mann. Passen Sie gut auf ihn auf.“
Am nachdrücklichsten zeigt sich dies aber in seiner Verwandlung und der Restitution seiner Handlungsfähigkeit. Powell, der im Dienst ein Kind getötet hatte und seitdem nicht fähig war, seine Waffe zu ziehen, erschießt ohne zu zögern, aber aus sicherer Distanz, den aus den Trümmern von Nakatomi Plaza auferstandenen letzten Terroristen. Er überwindet das eigene Trauma, weil nunmehr er für den Schutz von John und Holly als Familie McClane verantwortlich ist.
Beschränkte sich seine Kameradschaft getreu der Prämisse „This is radio. Not television“ bis dato auf die Ohrenzeugenschaft, so legt sein Handeln nun beredtes Zeugnis ab von Heilung und Erlösung, davon, dass der Mut, die Verpflichtung auf einen eigenen Ehrenkodex und die Selbstüberwindung von McClane Schule machen. Zelebriert wird also nach der Rückverwandlung der emanzipierten Geschäftsfrau zur liebenden Ehefrau und Mutter sowieder Restauration der Kernfamilie als Wert an sich die Wiederauferstehung eines Cops. Der rettet eben genau jene Kernfamilie, indem er sich nicht auf die Vorgaben Vorgesetzter zurückzieht, sondern gemäß seinem eigenen Wertekosmos selbstbestimmt handelt.
Von all den angerufenen und um Hilfe gebetenen staatlichen Institutionen – von der Feuerwehr bis zum FBI – bewährt sich einzig der traumatisch versehrte Streifenpolizist. Und in dieser Hinsicht ist es nur konsequent, wenn der Film am Ende auch musikalisch zu Al Powell zurückkehrt und den Abspann mit seinem musikalischem Thema unterlegt: Let it Snow. Dass nach den letzten Tönen von Let it snow Beethovens Ode an die Freude folgt, der Soundscape Hans Grubers, ist als Verweis auf ein dunkles Weihnachten im Zeichen der „lords of misrule“ zu verstehen, die es Jahr um Jahr zu besiegen gilt. Denn nach dem Fest ist vor dem Fest.
Zitiert wurde die deutsche Synchronfassung des Films. Die Zitate aus der Forschung wurden zum besseren Verständnis aus dem Englischen ins Deutsche übertragen.
Der Text ist die verschriftlichte Fassung eines Vortrags, der auf dem Workshop „Weihnachtsfilme lesen“ Ende November 2021 an der Fernuni Hagen gehalten wurde. In den Wochen bis Weihnachten erscheinen noch zwei weitere Beiträge dieser Reihe. Am Dienstag 14.12. findet ein weiterer digitale Abendvortrag statt (Programm hier). Den Abendvortrag von Simon Sahner vom 30.11. kann man auf youtube nachschauen.
[1] Michael Kimmel: Manhood in America. A Cultural History. New York, Oxford: Oxford University Press 1998, S. 222.
[2] Elizabeth Abele: Assuming a True Identity. Re-/De-Constructing Hollywood Heroes. In: Journal of American & Comparative Cultures 25 (2003) 3-4, S. 447–454, hier S. 449.
[3] Paul Cohen: Cowboys Die Hard. Real Men and Businessmen in the Reagan-Era Blockbuster. In: Film & History 41 (2011) H. 1. S. 71–81, hier S. 73.
[4] Yvonne Tasker: Spectacular bodies. Gender, genre and the action cinema. London 1995, S. 79.
[5] Philippa Gates: Detecting Men. Masculinity and the Hollywood Detective Film. New York 2006, S. 143.
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