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Flughafen-Chaos - „Sprengstoffkontrolle, Madame!“ | Cicero Online

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Es ist eine Frage, die regelmäßig dazu führt, dass mir in der Schlange vor dem Sicherheitscheck der Kragen platzt. „Haben Sie irgendwelche Flüssigkeiten im Handgepäck?“ Behälter mit Flüssigkeiten dürfen nur in einem verschließbaren Plastikbeutel ins Handgepäck, und das auch nur bis zu einer von 100 Millilitern. Ob das sinnvoll ist, bezweifeln Experten. Ich habe es aufgegeben, es verstehen zu wollen. Ich halte mich einfach daran, allein schon deshalb, um weitere Verzögerungen im Ablauf zu vermeiden. Aber nicht jeder macht das. Und das kann Folgen haben. Es kann dazu führen, dass ein ganzer Terminal gesperrt wird. Millionenschaden. 330 gestrichene Flüge. Passagiere, die am Airport stranden und dort übernachten müssen. Sie wollen das nicht glauben?

Nun, genau das ist kürzlich in München passiert. Eine 40-jährige Passagierin wurde dabei ertappt, wie sie Flüssigkeiten im Kosmetik-Koffer mit in den Flieger nehmen wollte. Sie gab den Kosmetik-Koffernachträglich als Reisegepäck auf. Sie musste danach noch einmal durch den Sicherheitscheck. Diesmal vergaß das Personal, sie noch einmal zu kontrollieren. Irgendwem fiel der Fehler auf. Großalarm. Der ganze Terminal wurde gesperrt. Kleine Panne, große Wirkung.

Alles muss raus!

Nein, es macht keinen Spaß mehr, mit dem Flugzeug zu verreisen. Und das liegt nicht nur an den Sicherheitsvorschriften. Die sind gar nicht so leicht zu durchschauen , weil sie von Land zu Land und von Flughafen zu Flughafen unterschiedlich ausgelegt werden. Wie streng Passagiere kontrolliert werden, hängt von vielen Faktoren ab. Zum Beispiel von der Ausbildung der Sicherheitskontrolleure und davon, wie gut sie bezahlt werden. In Berlin-Schönefeld, wo ich kontrolliert werde, sind die Kontrollen verhältnismäßig lax, verglichen mit denen in Frankfurt am Main. Aber das passt zum Gesamteindruck. Wer hier zum ersten Mal landet, erleidet einen Kulturschock. „SXF“ ist ein Provisorium aus Wellblech-Containern. „Nur der Flughafen in Ougadougou ist noch schlimmer“, hat ein Freund aus Afrika mal gesagt.

Lange Schlangen. Unterbesetzte Abfertigungsschalter. Gestresstes Personal. Genervte Reisende. Ein Kleinkind, das sich vor Wut und Erschöpfungauf den Boden wirft. Es hat mein volles Mitleid. Wer würde sich nicht gerne dazulegen?

Und wenn man denkt, jetzt ist alles überstanden, die Enge, die Hitze, der Lärm, geht die Warterei vor demSicherheitscheck von vorn los. Smartphones in die Box, Sonnenbrille absetzen, Gürtel mit Schwung aus der Hose ziehen. Noch irgendwas vergessen? Der Kopf? Nein, der sitzt da, wo er sitzen soll. Aber in der Hosentasche steckt noch ein Schlüssel. Auspacken. Alles muss raus!

Flughafen-Chaos - „Sprengstoffkontrolle, Madame!“ | Cicero Online

Paranoia nach dem 11. September 2001

Aber warum piept der Sicherheitsdetektor trotzdem? Leibesvisitation. Nicht schön, aber unvermeidbar. Ist ja zu unserer eigenen Sicherheit, redet man sich ein. Und gewährt der Security-Frau mit dem Handgriff einer Karate-Kämpferin auch noch Einblick in seine Patientenakte. Erzählt von der zehn Zentimeter langen Schraube, die seit einem schweren Unfall mit Beinbruch im Unterschenkel steckt. Ein Blick, der mich bis vom Scheitel bis zur Sohle röntgt. „Bitte mal die Schuhe ausziehen!“ Jetzt werde ich langsam wütend.

So etwas kannte ich bislang nur aus den USA. Die Paranoia nach dem Anschlag aufs World Trade Center. Die Angst, jeder Passagier könnte das Böse einschleppen, wenn nicht in Gestalt einer Bombe, dann doch wenigstens in Form eines heimtückischen Magen-und-Darmgrippe -Virus. Schlechtgelaunte Security-Leute, die Passagiere wie potenzielle Terroristen verhörenund jeden abführen, der sich über den Ton beschwert oder sich sonst irgendwie verdächtig benimmt. Man möchte auf der Stelle wieder umkehren, wenn man so etwas erlebt. 2017 hat die US-Regierung die Daumenschrauben für Flugreisende noch weiter angezogen. Seither werden auch Iphones und Tablets einzeln kontrolliert.

Zahl der Passagiere hat sich seit 2001 verdoppelt

So weit ist es in Deutschland zwar noch nicht. Aber noch längere Wartezeiten durch solche Kontrollen wären den Passagieren auch kaum zuzumuten. Der Boom der Billig-Airlines hat dazu geführt, dass sich ihre Zahl seit 2001 mehr als verdoppelt hat. 117,6 Millionen waren es im vergangen Jahr. An jedem Kalendertag gingen 322 000 Passagiere in die Luft. In Zukunft werden die Schlangen vor den Schaltern noch länger werden, prophezeit der Mobilitätsforscher Andreas Knie. Dass Kontrollsysteme unter diesem Massansturm bei der kleinsten Unregelmäßigkeit zusammenbrechen, liege in der Natur der Sache, sagt er. Lösen könnten das Probleme nur die Verbraucher selbst. Knie appelliert an derenUmweltbewusstsein: Fahrt mehr Bahn!

Vielleicht gar keine so schlechte Alternative, denke ich, während ich mir bis zum Abflug noch 20 Minuten die Beine in den Bauch stehen muss, weil es nicht genug Sitze in der provisorischen Wartehalle gibt. Berlin-Schönefeld mit knapp 13 Millionen Passagieren (2003: 1,7 Millionen) ist da keine Ausnahme. Die Infrastruktur der Flughäfen ist nicht in demselben Maße gewachsen wie das Aufkommen der Passagiere.

Erfolg von Ryanair geht auf Kosten der Mitarbeiter

Und auch die Arbeitsbedingungen für die Angestellten der Airlines sind immer härter geworden. Darauf haben Mitarbeiter von Ryanair hingewiesen, als sie am vergangenen Freitag für 24 Stunden die Arbeit an Europas Flughäfen niederlegten – und das mitten in der Ferienzeit. 250 Flüge fielen allein in Deutschland aus. Der erwartete Protest der Urlauber blieb jedoch aus. Überraschenderweise. Nach einer Forsa-Umfrage äußerten 73 Prozent der Bundesbürger sogar Verständnis für die Forderungen der Gewerkschaft des Billig-Fliegers. Ryanair-Mitarbeiter verdienen nicht nur deutlich weniger als ihre Kollegen der Lufthansa. Sie haben auch keinen Tarifvertrag, der ihre Rechte regelt. Dabei geht es dem Konzern mit Sitz in Irland prächtig. 2017 hat er einen Gewinn von 1,45 Milliarden erwirtschaftet – doppelt so viel wie im Vorjahr. Man kann sagen: Der Erfolg der Airline geht auf Kosten der Mitarbeiter. Im Bewusstsein der Verbraucher scheint das langsam anzukommen. Ein Ticket für einen Ryanair Flug kostet durchschnittlich 39 Euro. Wie viel Service, wie viel Komfort kann man dafür erwarten?

Und: Kann eine modernere Technik die Sicherheit erhöhen? Im Flughafen in Frankfurt am Main, mit 64,5 Millionen Passagieren im Jahr der größte deutsche Flughafen, setzt die Polizei seit 2017 immer mehr Körperscanner ein. Die brauchen nur drei Sekunden, um Reisende nach Waffen oder Sprengstoff zu röntgen. Aber auch diese Technik bewahrt die börsennotierte Betreibergesellschaft nicht vor Pannen. Anfang August ist dort dasselbe passiert wie Ende Juli am Flughafen in München. In Terminal 1 war eine vierköpfige Familie aus Frankreich in den Sicherheitsbereich gelangt, obwohl ein Sprengstofftest in ihrem Gepäck positiv ausgefallen war – fälschlicherweise, wie sich hinterher herausstellte. Trotzdem löste die Polizei Sprengstoff-Alarm aus. 49 Flüge wurden gestrichen. 7000 Passagiere saßen fest. Wieder ein Millionenschaden.

In der Handtasche doch nur Rohschimmelkäse

Was also nützen solche Sicherheitskontrollen? Befriedigt die Flughafensicherheit nicht Bedürfnisse, die sie selber geschaffen hat? Wäre es nicht effektiver, wenn die Airlines auf bewaffneten Flugbegleiter („Sky Marshals“) in Zivil mitschicken, wie es die Lufthansa auf einigen Flügen nach dem Vorbild der israelischen El Al schon heute macht?Das frage ich mich, während ich im Flughafen von Toulouse darauf warte, dass meine Handtasche den Handgepäckscanner für den Rückflug passiert.

„Sprengstoffkontrolle, Madame“, sagt der Sicherheitsmann. „Dürfte ich bitte mal in Ihre Handtasche schauen?“Bevor ich widersprechen kann, hat er den Inhalt schon für alle Mitreisenden sichtbar auf einem Tisch ausgebreitet. TNT ist nicht dabei, nur ein französischer Rohschimmelkäse. Aber wenn ich seinem Gesichtsausdruck glauben darf, dann ist das fast dasselbe.

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